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Degenerativ oder entzündlich?

Der Bewegungsschmerz

Der große Erfolg der Schulmedizin lag wissenschaftlich gesehen zunächstim Erkennen von Details. Wie Krankheit entsteht, wurde in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher differenziert, und so konnten nicht nur Zugänge zu einem rein biochemisch-zellulären Ursprung von Krankheiten gefunden werden, sondern es sind heute neurobiologische und epigenetische Faktoren hinzugekommen, die den Zusammenhang von Gesundheit und Krankheit in einem wesentlich helleren Licht erscheinen lassen. Dieser Weg vom Teil zum Ganzen bildet die Grundlage eines bio-psychosozialen Weltbildes und sollte bei der Behandlung des Bewegungsapparates Basis sein.

Arzt und Patient

Am Beginn steht immer ein tragfähiges Patient-Arzt-Verhältnis. Da entzündliche und degenerative Erkrankungen sehr oft parallel auftreten, ist eine gute Kommunikation von großer Bedeutung. Der Patient bildet zum erlebten Krankheitsbild, das oftmals mit Schmerz und Bewegungseinschränkung einhergeht, eine „bedrohliche Botschaft“. So ist es von besonderem Interesse, den Stellenwert der Erkrankung für den Einzelnen ausreichend zu erfassen, um dann die adäquaten Maßnahmen auch gemeinsam mit dem Patienten setzen zu können. Die körperliche Untersuchung, das Angreifen und Begreifen des Patienten ist dabei besondersnotwendig, da so die ersten wichtigen Alarmsymptome, die ersten Red Flags (Klopfschmerzen, Bewegungseinschränkung, neurologisches Defizit etc.) erkannt werden. Von der manuellen Untersuchung kann sehr schnell und effizient in eine Behandlung und Beratung übergeleitet werden.

Fallbeispiel: Tischlermeister mit Osteoporose

Der Patient, ein 59-jähriger Tischlermeister, stellte seinen Beruf zu sehr in den Mittelpunkt, vernachlässigtesich selbst aus übertriebenem Pflichtbewusstsein und bekam zuletzt eine schwere, durch Rauchen, Kortison und Magenschutz induzierte Osteoporose. In diesem Fall summieren sich die Fehler einer Behandlung ohne Konfrontation. Der Hausarzt verschreibt Antirheumatika, nach einer Zeit bekommt der Patient Magenbeschwerden, daher wird ihm zusätzlich ein Dauermagenschutz verschrieben. Der Orthopäde verabreicht ihm wöchentlich Kortison. Die Symptome werden immer wieder mit mehr vom Gleichen übertüncht und so wird der Patient um jeden Preis arbeitsfähig gehalten. Das Endergebnis macht betroffen. Als dann die Medikamente nicht mehr helfen und der Knochen durch massive Osteoporose zerfällt, wird chirurgisch interveniert, aber nicht zusätzlich mit Vitamin D, Magnesium etc. therapiert. Neben der Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit den in diesem Fall so wichtigen Vitaminen bzw. Mineralstoffen spielt generell die Ernährung eine wichtige Rolle – der Verzicht auf Fastfood, der Konsum hochwertiger Öle und Nahrungsmittel tragen das Ihre zur Genesung bei. Tatsächlich hilft in dieser palliativen Situation – die Operationen haben nicht geholfen, die Schmerzen sind nicht weniger geworden– nur noch Pensionierung, Teriparatid und eine komplexe Schmerztherapie bis hin zum Einsatz von Opiaten und Cannabinoiden. Die psychosoziale Komponente ist auch bei diesem Patienten nicht zu vernachlässigen; loslassen zu können und zu erkennen, dass es einfach nicht mehr so geht wie bisher. Das Cannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC) hilft dabei: Es ermöglicht das Loslassen, das Distanzschaffen, es fördert den Schlaf, die Muskelentspannung und die Regeneration und vor allem die Opiatreduktion. Vorsicht ist allerdings bei Patienten geboten, die Herzrhythmusstörungen, Psychosen oder bipolare Störungen haben. Und natürlich ist der THC-Gebrauch bei Schwangerschaft und Kindern/Jugendlichen kontraindiziert.

Rheumatherapie und was ergänzt werden kann

Es steht heute außer Zweifel, dass Rheumapatienten mit schweren Verläufen an spezialisierte Rheumatologen verwiesen werden sollen. Dennoch sind Basis(-Schmerz-)therapien von großer Bedeutung. Rheumapatienten müssen ganzheitlich und komplex betrachtet werden. Konzentriert sich der Rheumabefall auf gewisse begrenzte Regionen, so ist manchmal der lokale Zugang dem systemischen vorzuziehen. Die rheumatische Erkrankung kann auch sehr wohl mit einem erhöhten Stresslevel einhergehen, Bewegung und Ernährung sind von immenser Bedeutung. Bei der Autophagie wird „Zellmüll“ verbrannt und so die Entzündungsbereitschaft des Körpers deutlich reduziert.

Fallbeispiel: SIG-Arthritis

Bei diesem Patienten liegt eine Arthritis der Sakroiliakalgelenke (SIG) vor, es bestehen Knochenödeme, die Tag und Nacht Schmerzen bereiten, in der MR sieht man den axialen Befall. Kurzfristig hilft hier die Infiltration der Facetten- bzw. Iliosakralgelenke. Eine Infiltration mit Kortison sollte gezielt und vor allem nicht zu oft eingesetzt werden (kristalline Formen halten bis zu 14 Tage an). Es gilt hier die Jahresdosis im Hinterkopf zu behalten. Bei trockenen Arthrosen ohne Ergüsse eignet sich die Viskosupplementation, bei leichten Arthrosen wird ACP (autologes konditioniertes Plasma) infiltriert.

Natürlich helfen NSAR auch, kurzfristig die Schmerzen zu reduzieren. Sie sind sehr gut wirksam bei aktuen Entzündugen, gut steuerbar und man hat fundiertes Wissen dazu.Allerdings ist vor allem bei Patienten mit chronischen Schmerzen eher von einem Placeboeffekt auszugehen als von tatsächlicher Schmerzlinderung. Aufgrund der magenschädigenden Wirkung von NSAR muss bei Langzeiteinnahme zusätzlich ein Dauermagenschutz eingenommen werden. Außerdem sind NSAR nephrotoxisch und Interaktionen mit anderen Medikamenten müssen beachtet werden. Cannabidiol (CBD) mit seinen entzündungshemmenden, antioxidativen, schmerzhemmenden, angsthemmenden und schlaffördernden Eigenschaften kann hier auch eingesetzt werden, allerdings müssen vor der Verabreichung die Leberwerte überprüft werden, da CBD die Leber induziert.

Langfristige Veränderungen, die nicht sofort erkennbar sind, werden durch ausreichende Bewegung (4–6h/Woche) und eine Ernährungsumstellung (kein Fastfood, kein Zucker) erreicht. Vor allem Fastenkuren haben sich hier bewährt, die auch die Einstellung zum Leben verändern können. Neben dem Ausdauersport zählen auch Gruppensportaktivitäten, Tanzen oder das „wilde“ Spielen mit den Enkeln als Bewegung und bedienen darüber hinaus die biosoziale Komponente.

Das Facettensyndrom

Facettensyndrome sind häufig bei Frauen anzutreffen. Durch das fixierte Hohlkreuz, verbunden mit Bauchdeckenschwäche sowie lumbogluetalen Fehlstellungsstereotypen, und infolge der Belastungen durch die oftmals stark in weiblicher Hand liegende Haushaltsführung, aber auch durch die sitzenden Tätigkeiten in Bürojobs sind viele Kreuzschmerzen auf der Basis von Facettensyndromen „Dauerbrenner“ und kehren häufig wieder. Soziale Maßnahmen wie die Umorganisation im Alltag oder Ansuchen um Pflegegeld in schweren Fällen sind dabei hilfreich. Das Mittel der Wahl ist aber auch hier die Bewegung – dynamische Stabilität schützt die Wirbelsäule. Ein Gymnastikplan mit speziellen Übungen muss erstellt und auch entsprechend vermittelt werden. Meist braucht es einige Zeit, bis ungeübte Patienten die Übungen verinnerlicht haben.

Der schwache Fuß

Der Fuß steckt im Schuh, und so haben viele Menschen keinen Zugang zu diesem Teil des Bewegungsapparats. Er scheint oft „wie ausgeblendet“. Füße und Sprunggelenke unterliegen wiederholten Verletzungen und sie tragen und bewegen enorme Lasten. Dazu kommen die metabolisch-entzündlichen Nebenwirkungen von Übergewicht und Bewegungsmangel. Die Bedeutung des Fußes und der Fußgesundheit für den Gesamtorganismus ist nicht zu unterschätzen. Orthopädische Therapieoptionen umfassen Bandagen, orthopädische Schuhe, Orthesenschuhe, aber auch den Gips. Trotzdem gilt auch hier:
Die Bewegung bzw. ein entsprechender Gymnastikplan für den Fuß ist unerlässlich!

Bericht:
Dr. Katrin Spiesberger, MSc.

Quelle:
Vortrag „Bewegungsschmerz – degenerativ oder entzündlich?“ von Dr. Martin Pinsger im Rahmen des ALLGEMEINE+Herbstquartetts am 12.September
in Wien

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