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Teil 1

Die ärztliche Anzeigepflicht

In verschiedenen verstreuten Rechtsbereichen ist die ärztliche Verschwiegenheitsverpflichtung durch diese Verschwiegenheit brechende ärztliche Meldepflichten geregelt, deren bedeutendste die ärztliche Anzeigepflicht nach §54 Abs. 4 bis 6 Ärztegesetz ist. Diese Anzeigepflicht verfolgt den Zweck der Unterstützung des Staates bei der strafrechtlichen Verfolgung von Vergehen und Verbrechen und betrifft alle Ärzte, also auch die niedergelassenen Ärzte. Zu unterscheiden ist dabei, ob es sich beim betroffenen Patienten um einen volljährigen oder einen minderjährigen Patienten handelt.

§54 Abs. 4 Ärztegesetz ordnet nach der Neufassung im Jahre 2019 an:

„Die Ärztin/der Arzt ist zur Anzeige an die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wenn sich in Ausübung der beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht ergibt, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung

  • der Tod, eine schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung herbeigeführt wurde oder

  • Kinder oder Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind

  • oder nicht handlungs- oder entscheidungsfähige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Volljährige misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder worden sind.“

Volljährige und minderjährige Verletzte

Demnach besteht dann, wenn (lediglich) eine leichte Körperverletzung vorliegt, keine Anzeigepflicht; eine dennoch wider den Willen des Patienten erfolgte Anzeige widerspräche wohl der Verschwiegenheitsverpflichtung.

Die Abgrenzung zwischen leichter und schwerer Körperverletzung ist dabei nicht immer einfach, wobei auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Abgrenzung der einfachen von der schweren Körperverletzung nach §83 und 84 StGB zurückgegriffen werden kann. Eine schwere Körperverletzung liegt nach §84 Abs. 1 StGB vor, wenn eine über 24 Tage bestehende Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit besteht oder die Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung als an sich schwer zu bewerten ist. Bei der Beurteilung einer Körperverletzung als an sich schwere Verletzung im Sinn des §84 Abs. 1 StGB ist nach dieser Judikatur eine ganzheitliche Betrachtung der maßgebenden Umstände geboten: An sich schwere Körperverletzungen sind beispielsweise: Knochenbrüche (Ausnahme allenfalls einfache, unverschobene Nasenbeinbrüche, Bruch des kleinen Zehen), Eröffnung von Körperhöhlen wie der Bauchhöhle, ausgedehnte Weichteilverletzungen, innere Verletzungen, schwere Gehirnerschütterung, Verbrennungen dritten Grades (nicht jedoch ersten Grades, bei Verbrennungen zweiten Grades einzelfallbezogen), schwere Depressionen etc.

Gleiches gilt im Fall des Verdachts, dass eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist.

Minderjähriger Verletzter

Die generelle Anzeigeverpflichtung bei Tod, schwerer Körperverletzung oder Vergewaltigung gilt auch bei minderjährigen Verletzten, die Anzeigeverpflichtung bei Misshandlung, Vernachlässigung, Quälen, sexuellem Missbrauch jedoch nur hinsichtlich bei Kindern und Jugendlichen.

Bei der Auslegung der Begriffe „Misshandlung, Vernachlässigung, Quälen, sexueller Missbrauch“ wird wieder auf die einschlägige Judikatur des OGH zu den Tatbeständen des StGB zurückgegriffen werden können. Eine „Misshandlung“ ist eine üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden eines anderen nicht unerheblich beeinträchtigt. Unter „Quälen“ist das Zufügen von einen gewissen Zeitraum andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen, Leiden, aber auch Angstzuständen zu verstehen, die mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder psychischen Wohlbefindens verbunden sind. „Vernachlässigungen“ sind grobe Verletzungen der Obsorge- und Fürsorgepflicht verbunden mit schweren Gesundheitsschädigungen oder groben Entwicklungsstörungen. „Sexueller Missbrauch“ sind sämtliche geschlechtlichen Handlungen an Minderjährigen.

Opferschutzeinrichtungen

In den Fällen einer vorsätzlich begangenen schweren Körperverletzung hat der Arzt auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen (§54 Abs. 6 Ärztegesetz).

Rechtsfolgen der Nichterstattung von Anzeigen trotz Anzeigepflicht

Ob auch der Schutz von Patienten vor weiteren Übergriffen mit der Anzeigepflicht gesetzlich intendiert ist, ist umstritten. Bejaht man dies, könnte der Arzt allenfalls zivilrechtlich zur Haftung z.B. für solche Schäden herangezogen werden, die nicht entstanden wären, hätte eine Anzeige das (weiter schädigende) Verhalten des Schädigers gegenüber einem Patienten unterbunden. Die Nichterstattung der Anzeige ist jedenfalls als Berufspflichtenverletzung disziplinär zu ahnden.

In Teil 2 dieser Serie, der Sie in der nächsten Ausgabe von ALLGEMEINE+ erwartet, werden die Ausnahmen von der Anzeigepflicht gemäß §54 Abs. 4–6 Ärztegesetz dargestellt sowie andere Rechtsmaterien vorgestellt, in denen ebenfalls Anzeigepflichten normiert werden.

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