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Teil 2

Die ärztliche Anzeigepflicht

Sexueller Missbrauch

Das österreichische Sexualstrafrecht kennt mehrere Formen des sexuellen Missbrauchs, insbesondere solche an Kindern und Jugendlichen und nicht entscheidungsfähigen Personen:

Als schweren sexuellen Missbrauch Unmündiger (Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr) definiert §206 StGB den Vollzug des Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen. Nach der Judikatur ist eine jegliche Vaginalpenetration mit dem Finger bereits eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung. Nicht strafbar ist der Beischlaf mit einer unmündigen Person dann, wenn das unmündige Kind das 13. Lebensjahr bereits vollendet hat und der Täter nicht mehr als drei Jahre älter als das Opfer ist.

Andere geschlechtliche Handlungen an oder von unmündigen Kindern sind als sexueller Missbrauch gemäß §207 StGB strafbar, es sei denn, das Opfer war bereits 12 Jahre alt und der Täter ist nicht mehr als vier Jahre älter als das Opfer.

Wer an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und die wegen verzögerter Reife die Bedeutung geschlechtlicher Handlungen nicht einsehen kann, unter Ausnützung des altersbedingten Vorteils geschlechtliche Handlungen vornimmt oder von der Person vornehmen lässt, macht sich wegen sexuellen Missbrauchs an Jugendlichen gemäß §207b StGB strafbar.

Gemäß §205 StGB ist auch der sexuelle Missbrauch von wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Personen strafbar. Wehrlos ist beispielsweise ein narkotisierter Patient. Psychisch beeinträchtigt ist jemand, der wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgehenden Bewusstseinsstörung oder gleichwertiger seelischer Störungen unfähig ist, die Bedeutung des geschlechtlichen Vorgangs einzusehen und danach zu handeln.

Letztlich ist auch bei allen Minderjährigen unter 18 Jahren der Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses durch Verwandte oder Lehrer, Ausbildner und dergleichen gerichtlich strafbar.

Bei erwachsenen Personen hingegen ist eine Anzeigepflicht bei Sexualdelikten nur dann vorgesehen, wenn sie zu einer schweren Körperverletzung oder dem Tod geführt haben oder der Verdacht einer Vergewaltigung besteht.

Ausnahmen von der Anzeigepflicht

Gemäß §54 Abs.5 Ärztegesetz besteht keine Anzeigepflicht, wenn die Anzeige dem ausdrücklichen Willen der volljährigen handlungs- oder entscheidungsfähigen Person widersprechen würde, sofern keine unmittelbare Gefahr für diese oder eine andere Person besteht und die klinisch-forensischen Spuren ärztlich gesichert sind.

Wenn die Anzeige im konkreten Fall die berufliche, also die ärztliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, besteht ebenfalls keine Anzeigepflicht, wenn nicht eine unmittelbare Gefahr für das Opfer oder eine andere Person besteht.

Wird die Anzeige vom Krankenhaus vorgenommen, entfällt die persönliche Anzeigepflicht durch den einzelnen Arzt.

Weiters kann in Fällen der Misshandlung, des Quälens, des Vernachlässigens oder des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen die Anzeige unterbleiben, wenn sich der Verdacht gegen einen Angehörigen richtet, sofern dies das Wohl des Kindes oder Jugendlichen erfordert und eine Mitteilung an die Kinder- und Jugendhilfeträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt.

Anzeigepflicht ja/nein?

Ob die Voraussetzungen für eine Anzeigepflicht vorliegen oder eben gerade nicht, haben Ärzte selbstständig zu beurteilen. Eine „Instanz“, die dem Arzt die Entscheidung abnimmt, gibt es nicht, allenfalls eine nachträgliche Kontrolle durch Gerichte, Verwaltungs-oder Disziplinarbehörden.

Weitere Meldepflichten im Überblick

Solche Meldepflichten bestehen nach dem Epidemiegesetz, nach dessen §1 für mehrere übertragbare Krankheiten Anzeigepflicht besteht, nach dem Geschlechtskrankheitengesetz für übertragbare Geschlechtskrankheiten, wenn eine Weiterverbreitung der Krankheit zu befürchten ist oder sich der Kranke der ärztlichen Behandlung oder Beobachtung entzieht, und nach dem Aids-Gesetz.

Nach §75g des Arzneimittelgesetzes haben (unter anderem) Ärzte vermutete Nebenwirkungen oder das Ausbleiben der Wirkung, dies näher konkretisiert in der Pharmakovigilanz-Verordnung, dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen zu melden.

Fehlfunktionen, schwerwiegende Kennzeichnungs- und Gebrauchsanweisungsmängel, schwerwiegende Nebenwirkungen, schwerwiegende wechselseitige Beeinflussungen sowie ebensolche Qualitätsmängel von Medizinprodukten sind von Angehörigen der Gesundheitsberufe gemäß §70 Medizinproduktegesetz zu melden.

Darüber hinaus bestehen Meldepflichten nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (Berufskrankheit), nach dem Unterbringungsgesetz und nach dem Personenstandsgesetz (Geburt, Tod).

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