
16. Dezember 2020
Allgemeinmediziner und Bergretter
Einsatz in luftigen Höhen
Dr. Roland Rauter ist niedergelassener Allgemeinmediziner und Landesarzt der Bergrettung Kärnten. Ein vielseitiger, humorvoller Mann, der auf professionelle Weise seine Leidenschaft für die Berge mit seinem medizinischen Können verknüpft hat und seit nun fast 30 Jahren in Not Geratenen im alpinen Gelände zu Hilfe eilt.
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Wenn eine Benachrichtigung der Einsatzzentrale auf seinem Handy erscheint, lässt er alles liegen und stehen. Ist seine Ordination für Allgemeinmedizin in Paternion gerade offen, wird versucht, die Anliegen der wartenden Patienten anderweitig zu lösen. Sie kennen das, haben Verständnis und schätzen ihn auch dafür. Denn Dr. Roland Rauter ist Landesarzt der Kärntner Bergrettung, und wenn jemand im unwegsamen Gelände in Not geraten ist, kommt er mit dem Team der Bergrettung und hilft.
Allgemeinmedizinische Praxis oder Facharztkarriere?
Dr. Roland Rauter ist, wie viele der Freiwilligen bei der Bergrettung, in den Bergen aufgewachsen. Mit der Kreuzeckgruppe in der unmittelbaren Umgebung, hat er seine Kindheit und später so manche freie Minute mit dem Skitourengehen im Winter und dem Wandern und Klettern im Sommer verbracht. Nach dem Studium der Humanmedizin in Wien entschied er, zum damals noch vorgesehenen 3-jährigen Turnus wieder in die Heimat zurückzukehren. Eigentlich war für Dr. Rauter klar, dass er eine allgemeinmedizinische Praxis führen möchte. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch keine freien Kassenstellen verfügbar waren, nahm er eine Ausbildungsstelle zum Facharzt für Innere Medizin am KH Spittal an der Drau an, die seinem Interesse für Akutmedizin bzw. Intensivmedizin gerecht wurde. Sein beruflicher Werdegang führte ihn danach ans Klinikum Klagenfurt. Dort hatte er einige Jahre schon die Leitung der Neuorganisation der damals beschlossenen zentralen Notfallaufnahme inne, als er sich für einen Jobwechsel entschied – denn es wurde eine Kassenstelle in seiner Heimatregion frei. „Ich wollte fachlich gut arbeiten und nicht strategisch taktieren müssen“, beschreibt er die Entscheidung für die allgemeinmedizinische Praxis im Nachhinein.
Der Weg zur Bergrettung
Mitglied der Bergrettung ist Dr. Rauter nun schon seit fast 30 Jahren. Damals, kurz vor dem Ende seines Medizinstudiums, war er auf einer Bergwanderung mit seinem Vorgänger, Prim. Dr. Karl Pallasmann, dem damaligen Vorstand der Pädiatrie am LKH Villach und Landesarzt der Kärntner Bergrettung. Er war es, der dem jungen Rauter den Einstieg bei der Bergrettung schmackhaft machte.
Als versierter Skitourengeher und Kletterer erfüllte Rauter die Anforderungen, um zur Grundausbildung der Bergrettung zugelassen zu werden. Da diese zweijährige Ausbildung finanziell zur Gänze von der Bergrettung getragen wird, gibt es eine dementsprechende Eignungsprüfung, wie Rauter erklärt. Diese besteht aus einem technischen/praktischen Teil, in dem die Anwärter mit dem Ausbildungsleiter Skitouren gehen und ihre Kletterfertigkeiten unter Beweis stellen müssen, und aus einem persönlichen Aufnahmegespräch. Wenn diese Eignungsprüfung bestanden ist, beginnt die Grundausbildung. Neben einer medizinischen Standardausbildung im Ausmaß von ca. 40 Stunden müssen dabei auch zwei Felskurse von je einer Woche, eine Woche Winterkurs und eine Woche Gletscherkurs absolviert werden – nicht zu vergessen die theoretische Wissensvermittlung der Wetter- oder Lawinenkunde. Wenn man dann noch die Abschlussprüfung positiv absolviert, hat man es geschafft. Wichtig ist Rauter, zu betonen, dass man persönlich von dieser umfassenden Ausbildung am meisten profitiert. Denn neben den dadurch gewonnenen lebenslangen Freundschaften wird das Gelernte ja auch bei den privaten Aktivitäten am Berg eingesetzt.
Im Einsatz
Als Landesarzt ist Dr. Rauter für Einsätze der Bergrettung in ganz Kärnten zuständig. In österreichweit ca. 300 Ortsstellen eingeteilt, gibt es innerhalb des jeweiligen Landesverbandes zwar lokale Einsatzmannschaften, doch nicht bei jeder ist ein Mediziner mit von der Partie.
Wenn nun ein Mensch im alpinen Gelände in Not geraten ist, kommt diese Nachricht entweder direkt über den Alpin-Notruf 140 oder über Umwege anderer Notrufnummern zur Einsatzzentrale der Bergrettung. Hier entscheiden alle an solchen Einsätzen beteiligten Organisationen und oft auch die Behörde miteinander, wie weiter vorgegangen wird – ein entscheidender Faktor beim Erfolg eines Rettungseinsatzes, wie Rauter erörtert. In weiterer Folge werden dann eine oder mehrere Ortsstellen der Bergrettung per SMS alarmiert oder ein Hubschrauber wird angefordert. Rauter, der selbst auch Nothubschrauberdienste leistet, berichtet, dass mittlerweile ca. 2/3 der Alpinunfälle mithilfe eines Hubschraubereinsatzes (mit Arzt an Bord) abgewickelt werden, der von privaten Anbietern wie z.B. dem ÖAMTC durchgeführt wird. Meist wird parallel dazu auch die Bergrettung eingeschaltet, denn wenn der Hubschrauber wegen schlechter Wetterverhältnisse oder Dunkelheit nicht landen kann, ist Not am Berg und der Verletzte muss zu Fuß geborgen werden – in einem sogenannten terrestrischen Einsatz.
Flugunglück
So einen terrestrischen Einsatz hatte Dr. Rauter mit der Mannschaft der Ortsstelle Heiligenblut im Rahmen eines Hubschrauberabsturzes vor einigen Jahren zu bewältigen. Am späten Abend kam die Nachricht, dass sich im Glocknergebiet rund um Heiligenblut vermutlich ein Unglück ereignet hatte. Nach der einstündigen Anfahrt erreichte Dr. Rauter den mit dem Rest der Mannschaft vereinbarten Treffpunkt, wo die Einsatzleitung bereits die Sachlage besprach. Man wusste, dass der Pilot einen Materialtransport auf eine Almhütte geflogen hatte, allerdings war er nie am Zielflughafen angekommen, woraufhin die Schwester des Piloten gegen 22 Uhr die Bergrettung alarmiert hatte. Eine klassische Situation, wie Dr. Rauter beschreibt. In vielen Fällen sind es die Angehörigen, die – von einem „schlechten Gefühl“ geleitet – die Bergrettung kontaktieren. Meist löst sich ein solcher Verdacht in Wohlgefallen auf. Diesmal war dem aber nicht so. Über einen Kreissender konnte die Austro Control den Standort des Hubschraubers orten – der Verdacht eines Absturzes lag nahe. Nachdem diese Information das Einsatzteam erreicht hatte, mussten wichtige Fragen beantwortet werden. Ist der Aufstieg zur vermuteten Absturzstelle überhaupt möglich? Ist der Aufstieg bei Nacht möglich? Sind der gefahrlose Abstieg und gegebenenfalls der Abtransport von Verletzten zu bewältigen? Eine wichtige Frage, wenn man bedenkt, dass drei Stunden Aufstieg in der Regel sechs Stunden Abstieg bedeuten, da ein Verletzterentsprechend gesichert und getragen werden muss. Nicht zu vergessen das Grundgesetz hinter jedem Einsatz: Der Selbstschutz – man bringt sich und seine Kameraden nicht in Gefahr!
Nach sorgfältigem Abwägen wurde der Beschluss gefasst, aufzusteigen. Das bedeutete drei Stunden in voller Montur mit der gesamten Ausrüstung bei fordernder Geschwindigkeit hinauf in anspruchsvolles Gelände – und das Ganze noch dazu bei Nacht. Gegen vier Uhr früh konnte die Einsatzmannschaft dann den Verdacht bestätigen: Der Hubschrauber mit zwei Menschen an Bord war abgestürzt. Die erfahrenen Bergleute gingen davon aus, dass keiner der Besatzungsmitglieder mehr am Leben war. Doch plötzlich war da ein Stöhnen. Einer der Männer hatte überlebt und war unter den Trümmern des Hubschraubers eingeklemmt worden. Umgehend wurde die medizinische Versorgung des Überlebenden eingeleitet, die von der notfallmedizinischen Versorgung im Tal doch sehr abweicht. Wie Rauter betont, darf man in so einer Situation nie vergessen, dass man nur das oben am Berg hat, was man auch selbst hinaufgetragen hat. Neben den persönlichen Dingen wie Reservekleidung – nach einem mehrstündigen Marsch bergauf ist die Montur meist durchgeschwitzt – muss auch technisches Material wie Klettergurte, Sicherungen, Steigeisen, Tragesysteme oder Sauerstoff zum Unfallort transportiert werden. Der Verletzte wies mittelschwere Verletzungen auf, große Sorgen bereitete dem Team allerdings die Tatsache, dass er unter den Hubschraubertrümmern eingeklemmt war. Man musste damit rechnen, dass innere Organe verletzt waren, und oft kommt es zu massiven Blutungen, sobald solcherart Verletzte geborgen werden. Nach ärztlicher Abwägung barg die Mannschaft den Verletzten, der, wie sich dann herausstellte, keine lebensbedrohlichen Verletzungen hatte. Daher wurde beschlossen, auf die nahenden Morgenstunden zu warten und den Verletzten und den Verstorbenen per Notfallhubschrauber ins Tal zu bringen.
Durch das Seil verbunden – eine ganz besondere Kameradschaft
Auf die Frage, wie er mit solch belastenden Erlebnissen umgeht, entgegnet Rauter, dass er auch nach all den Jahren immer wieder überrascht sei, wie sehr ihn manche Einsätze mitnehmen und oft über Jahre hinweg begleiten. In solch speziellen Situationen, wie bei dem beschriebenen Hubschrauberabsturz, bei dem nicht mehr mit Überlebenden gerechnet wird, ist die Euphorie natürlich groß, wenn ein „nur“ mittelgradig Verletzter geborgen werden kann. Dann überwiegt die Freude und man weiß, dass die ganzen Strapazen einen Sinn gehabt haben, man ein Leben retten konnte. Der Verletzte hätte, bei Eiseskälte eingeklemmt, die Nacht wohl nicht überlebt.
Es sei aber schwer, Einsätze zu verarbeiten, bei denen oft junge und auch erfahrene Personen nur mehr tot geborgen werden können. Ein wichtiger Faktor beim Verarbeiten solcher Erlebnisse ist die in der Bergrettung herrschende ganz besondere Kameradschaft. Eine Kameradschaft, die durch das Seil verbunden ist. Man vertraut sich gegenseitig sein Leben an und schafft dadurch eine Basis, die eine ganz spezielle und auch schöne Verbundenheit hervorruft. Man redet anders miteinander, auch über die Vorfälle, die man gemeinsam erlebt hat – nicht nur am Ende des Einsatzes, auch Tage, Wochen und sogar Jahre danach.Das Einsatzteam der Bergrettung ist es auch, das nach tragischen Unfällen von den Angehörigen aufgesucht wird, die um Schilderung der Umstände bitten. „Auch für Nahestehende ist das Reden ein wichtiger Schritt der Aufarbeitung. Sie wollen wissen, wie und wo genau das Unglück passiert ist, ob der Verunglückte leiden musste und Ähnliches“, erklärt Rauter.
Wer zahlt?
So ein Bergrettungseinsatz ist nicht billig und manch ein Geretteter ist überrascht, wenn ihm die Rechnung ins Haus flattert. Eine Hubschrauberminute kostet um die 120€, und wenn man den Abflug, die Wegzeit, vielleicht noch schwierige Verhältnisse beim Landen und den Abtransport in ein Krankenhaus miteinbezieht, merkt man, wie schnell eine Stunde Hubschraubereinsatz verfliegt. Die herkömmliche Krankenversicherung übernimmt diese Kosten nicht, einige private Anbieter wie z.B. der ÖAMTC oder auch VISA inkludieren entsprechende Bergungskosten bei Unfällen in ihren Rahmenverträgen. Aber auch als förderndes Mitglied der Bergrettung ist man in solchen Fällen mit seiner ganzen Familie versichert.
Die Bergrettung selbst ist eine relativ kleine Organisation, die sich großteils über Sponsoringverträge und Mitgliedsbeiträge finanziert. Die Rechnungen für Einsätze machen dabei relativ wenig aus. Die insgesamt 12912 Bergretter (davon 12129 Männer und 783 Frauen) in Österreich arbeiten freiwillig und unentgeltlich, das eingenommene Geld fließt ausschließlich in Geräte, Schutzausrüstung und Weiterbildung. Wenn man bedenkt, dass in quasi jedem Dorf in Österreich die Freiwillige Feuerwehr ein meist doch recht stattliches Gebäude nutzen kann, stimmt die Tatsache, dass der Bergrettung Villach bis vor Kurzem ein 16m2großes Zimmer zur Verfügung stand, nachdenklich. Die Mitglieder der Ortsstelle haben während der letzten Jahre gesammelt, um Geld für den Umbau dieses Zimmers aufzutreiben. Man freut sich. Auch darüber, dass es seit einigen Jahren ein Einsatzfahrzeug gibt. Man kommt mit dem zurecht, was man hat, stellt aber auch keine übertriebenen Ansprüche. Eine Haltung, die auch diesem Kameradschafts- oder besser Gemeinschaftsgeist entspringt, wie Rauter meint.
Wir werten nicht!
Diese Haltung muss man auch verinnerlicht haben, denn egal ob Bergneulinge mit Schlapfen oder erfahrene Kletterer mit Spezialausrüstung – sie retten alle. Jedes Mitglied der Bergrettung weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell ein Unfall im alpinen Gelände passiert. Immer wieder kann man in unvorhergesehene, oft auch einfach „blöde“ Situationen kommen, mit denen man nicht gerechnet hat. „Jeder Unfall wäre im Nachhinein vermeidbar gewesen und daher lautet ein weiteres Grundprinzip der Bergrettung: Wir werten nicht!“, mahnt Rauter.

Einsatz in einer Gletscherspalte

Abtransport eines Verletzten bei Nacht
Appell an interessierte Mediziner
Zum Abschluss richtet Dr. Rauter einen Appell an alle interessierten Mediziner, die gern am Berg unterwegs sind: „Vor allem junge Kollegen sollten erwägen, Mitglied der Bergrettung in ihrer Region zu werden. Auch wenn man kein Bergexperte ist, bei gegebener Motivation lernt man schnell und das, was man durch diese Arbeit zurückbekommt, wiegt alle durchgemachten Strapazen mehr als auf.“
Und für alle, die weniger bergaffin sind, die Arbeit der Bergrettung aber trotzdem unterstützen möchten, bietet sich eine fördernde Mitgliedschaft um €28,– pro Jahr an – übrigens auch ein tolles Weihnachtsgeschenk!

Mehr Informationen zur Arbeit des Österreichischen Bergrettungsdienstes und zur Mitgliedschaft finden Sie unter bergrettung.at.
Bericht:
Dr. Katrin Spiesberger