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Zukunft der Allgemeinmedizin

Primärversorgung attraktiver gestalten

Mehr Zeit für Patienten

An oberster Stelle ihrer Forderungen steht die Mehrzeit für den Patienten. Diese soll durch eine Reduktion der Bürokratie, aber auch durch bundesweite schnelle und benutzerfreundliche IT-Lösungen erwirkt werden. Zudem wünscht sich die JAMÖ eine flexiblere und einfachere Bezahlstruktur, z.B. im Rahmen eines variablen Honorierungsmodellsmit Patienteneinschreibemodell.

Work-Life-Balance

Ebenso von größter Wichtigkeit ist der nachkommenden Generation an Allgemeinmedizinern die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Eine Erreichbarkeit an 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche durch eine einzelne behandelnde Person stellt keine moderne, nachhaltige Arbeitsform dar.

Eine adäquate notfallmedizinische Versorgung der Patienten lässt sich durch ein Netzwerk aus mehreren behandelnden Ärzten sicherstellen, die Vereinbarung von Beruf und Privatleben am ehesten durch den Ausbau von Teamarbeitsmodellen, die den fachlichen Austausch ermöglichen, zugleich aber auch eine unternehmerische Selbstständigkeit zulassen.

Zum Glück steht man als Allgemeinmediziner heute vor einer Vielfalt an Arbeitsmodellen, aus denen man wählen kann: Diese reichen von Einzelpraxen mit Kassenverträgen über Jobsharing-Modelle, Primärversorgungsnetzwerke und -zentren bis hin zu Gruppenpraxen. Die JAMÖ begrüßt diese Entwicklung der letzten Jahre und fordert, diese Modelle in Zukunft auch weiter auszubauen, zu evaluieren und vor allem bundesweit einheitlich zu regeln. Denn ein Anstellungsverhältnis von Berufseinsteigern soll nicht das vorrangige Ziel sein, wohl aber bei Bedarf als optionale Möglichkeit zur Verfügung stehen. Viele nutzen das Anstellungsmodell zur Festigung ihrer Berufsentscheidung bzw. zur Wahl ihres Niederlassungsortes, aber auch zum Kennenlernen unterschiedlicher Zusammenarbeitsformen.

Um zu verhindern, dass die ärztliche Tätigkeit als reiner Personalkostenfaktor gesehen wird, sieht die JAMÖ die selbstständige Tätigkeit mittels direkten Kassenvertrags als optimale Voraussetzung für eine adäquate Patientenversorgung.

Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin

Viel kritisiert und im unlängst veröffentlichten Positionspapier aufgegriffen wurde auch die Diskrepanz zwischen Allgemeinmedizinern und Fachärzten. Diese betrifft zum einen die Ausbildung, zum anderen die Entlohnung – beides geht Hand in Hand.

Der nicht nur von der JAMÖ schon lang geforderte Facharzttitel für Allgemein- und Familienmedizin stellt eine Notwendigkeit für die allgemeinmedizinische Primärversorgung dar und dessen Einführung könnte einige verbesserungswürdige Aspekte dieser Diskrepanz lösen:

  • Die Wertschätzung der Allgemeinmedizin würde durch die sprachliche Angleichung gehoben werden.

  • Die Ausbildungsqualität würde – vor allem durch die Verlängerung der Lehrpraxisdauer – erheblich verbessert werden. Die Lehrpraxis stellt den wichtigsten Punkt der Ausbildung zum Allgemeinmediziner dar, senkt die Hemmschwelle vor der Niederlassung und ist einer der meistgenannten Motivationsfaktoren für die Wahl der Allgemeinmedizin als Fachrichtung. Durch eine verlängerte Lehrpraxiszeit, die optimalerweise auf den Anfang und das Ende der Ausbildung aufgeteilt werden sollte, können Auszubildende einerseits früher für die Allgemeinmedizin motiviert werden und andererseits die gesammelten Kompetenzen am Ende nochmals verfeinern und gegebenenfalls erweitern.

  • Die Abrechnungsmodalitäten von medizinisch sinnvollen Primärversorgungsmaßnahmen bei allen Sozialversicherungsträgern muss bundesweit etabliert und verbessert werden. Dabei handelt es sich um evidenzbasierte diagnostische Maßnahmen wie EKG, Laborwerte, die zur adäquaten Anwendung von Antibiotika (CRP, Leukozyten, Differenzialblutbild) oder zur geeigneten Beurteilung lebensbedrohlicher Zustände (Troponin T, D-Dimer) notwendig sind, Spirometrie, Langzeit-RR oder die Sonografie.

  • Im Sinne einer langfristigen Aufwertung gilt es, bei der geforderten Eingliederung in das Fachärztesystem auch das Einkommen entsprechend anzupassen. Eine Diskriminierung aufgrund der medizinischen Fachrichtung ist aus Sicht der JAMÖ ethisch und logisch nicht vertretbar.

Medizinisches Netzwerk

Um die Primärversorgung nachhaltig zu gewährleisten, braucht es nicht nur Ärzte – auch derzeit noch begrenzte Ressourcen aus anderen Gesundheitsberufen müssen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Dazu zählen neben diplomiertem Gesundheits- und Pflegepersonal auch Personal aus den Bereichen Diätologie, Physiotherapie, Ergo- und Psychotherapie, Logopädie oder Sozialarbeit. Sie alle leisten einen großen Beitrag zur adäquaten Patientenversorgung.

Fokus auf Präventivmedizin

Ein weiterer Fokus der Forderungen liegt auf präventivmedizinischen Aspekten, die momentan auf allen Ebenen zu kurz kommen. Die JAMÖ fordert daher eine verpflichtende Einbindung der Allgemeinmedizin durch die Einbettung in Gesundheitsmaßnahmen auf regionaler Ebene, z.B. in Schulen, den Gemeinden etc. Als Kernkompetenzen der Allgemein- und Familienmedizin sollten Arbeitszeit- und Honorierungsmodelle auf die Umsetzung der präventivmedizinischen Leistungen ausgelegt werden. Voraussetzung dafür sind natürlich Basiskenntnisse auf dem Gebiet der Public Health, aber auch Community Care, die im Rahmen der Ausbildung vermittelt werden sollten, um zukünftig Teil des hausärztlichen Selbstverständnis zu sein.

Bericht:

Dr. Katrin Spiesberger, MSc.

Quelle:

JAMÖ-Positionspapier zur Attraktivierung der allgemeinmedizinischen Primärversorgung in Österreich. Abstimmungspapier vom 19. Mai 2021

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