
14. Juni 2021
Dr. Sabine Badelt
Schulärztin mit Leib und Seele
Als Schularzt ist man der erste Ansprechpartner für physische, aber auch psychische Probleme und seit einiger Zeit auch mit epidemiologischen Fragestellungen beschäftigt. Wie sich der Alltag einer Schulärztin gestaltet und welche Freuden dieser Beruf mit sich bringt, erzählte uns Dr. Sabine Badelt, Schulärztin in Wien.
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Wiegen, messen, impfen – damit war früher das Bild des Schularztes verknüpft. So mancher Mediziner hat sich vor Kollegen geniert, wenn er über seine Tätigkeit an der Schule gesprochen hat. Mittlerweile haben sich die Zeiten jedoch geändert. Heute ist der Schularzt nicht nur die erste medizinische Anlaufstelle bei akuten Beschwerden, er fungiert auch als vertrauenswürdiger Experte, an den sich Schüler auch mit heiklen Belangen wenden. Solch eine Expertin ist auch Dr. Sabine Badelt, Schulärztin an der AHS Rahlgasse im 6. Wiener Gemeindebezirk, Referentin der ÖAK für Schulärzte und wissenschaftliche Leiterin des Diplomlehrgangs für Schulärzte.
Der Weg in die Schule
Wie viele ihrer Kolleginnen ist auch Badelt in die Rolle der Schulärztin „hineingerutscht“. Nach dem Turnus hat sie die Ausbildung zur Notärztin absolviert, war als solche tätig. Durch eine Kollegin kam sie dann zum ersten Mal mit dem Berufsbild des Schularztes in Berührung. Schon damals interessierte sich Badelt dafür, doch erst durch ihre Kinder erkannte sie diesen Beruf als sinnvolle Tätigkeit, die sich sehr gut mit der Betreuung des eigenen Nachwuchses vereinbaren lässt. Sie entschied sich dazu, die mit einer Dauer von 1,5 Jahren damals noch recht langwierige Ausbildung zur Schulärztin anzutreten, und landete schlussendlich im Gymnasium Rahlgasse.
Ausbildung
Heute umfasst die Ausbildung zum Schularzt nur mehr 6 Wochenenden plus ein E-Learning mit Abschlusstest.Zudem gibt es in Wien vierteljährliche Qualitätszirkel sowie die jährliche Schulärzte-Tagung der Akademie der Ärzte. Jeder Allgemeinmediziner und jeder Kinderarzt kann die Schularzt-Ausbildung im Rahmen eines ÖAK-Diploms absolvieren. Die Lehrgänge dazu werden derzeit pro Jahr abwechselnd einmal in Wien und einmal in Graz angeboten, was allerdings in Abhängigkeit von der tatsächlichen Teilnehmerzahl variieren kann. Dabei werden die verschiedensten Inhalte vermittelt: Orthopädie ist genauso ein Thema wie Essstörungen, Entwicklungsstörungen, Drogenmissbrauch oder Verhütung. Dies ist auch nötig, denn die Kinder kommen mit allem Möglichen, erzählt Badelt. Seien es Kopfweh, eine Verletzung in der Pause, Liebeskummer oder Mobbingsituationen, die Themengebiete sind breit gefächert.
Grundsätzlich ist es immer noch so, dass der Schularzt jeden Schüler zumindest einmal im Jahr sehen sollte, darüber hinaus bei besonderen Problemen, die eine häufigere Konsultation erfordern. In der AHS Rahlgasse können die Schüler an drei Vormittagen pro Woche ihre Schulärztin aufsuchen. Nicht nur aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht fungiert Badelt zudem als Vertrauensperson ihrer Patienten. Sie erklärt, dass man in dieser Funktion relativ niederschwellig eine „Rutsche“ in eine gewisse Richtung legen und dadurch Schülern mit Unsicherheiten bis hin zu psychologischen Problemen helfen kann.
Das ewige Thema Gewicht
Immer häufiger wird von den Schülern das Selbstbild bzw. das eigene Gewicht thematisiert, so Badelt. Ein Trend, der auch durch das Aufkommen der sozialen Medien und die Körperbilder, die darin vermittelt werden, befeuert wird. Besonders in Erinnerung geblieben ist Badelt ein Besuch mit einer Schulklasse bei „sowhat“, einem Institut, das sich mit Essstörungen beschäftigt: Eine Schülerin erzählte in diesem Rahmen, sie hätte das Gewand der Barbiepuppe ihrer Mutter geerbt, es würde ihrer jetzigen Barbiepuppe aber nicht mehr passen, da diese mittlerweile offensichtlich auch dünner geworden war – und das, obwohl Barbie schon vor 40 Jahren eine zu dünne, nicht lebensfähige Person verkörpert hat. Ein gutes Beispiel für die Veränderungen der Ideale im Laufe der letzten Jahrzehnte. Es sei wichtig, die Schüler auch auf diese Entwicklung aufmerksam zu machen, um ihre eigene Körperwahrnehmung positiv zu stärken und den im Vormarsch befindlichen Essstörungen entgegenzuwirken, so die engagierte Schulärztin.
Gewalt an Kindern und wie man damit umgeht
Neben Lehrern sind es oft Schulärzte, denen als Ersten auffällt, wenn Schüler Blessurenoder auffälliges Verhalten aufweisen, die auf Missbrauch hindeuten können. Dabei ist es enorm wichtig, sehr vorsichtig vorzugehen, denn Beschuldigungen sind schnell ausgesprochen, erzählt Badelt. Man darf den Kindern nichts in den Mund legen, bei einem vertraulichen Gespräch muss man penibel auf die Gesprächsführung achten und im Verdachtsfall umgehend mit dem Jugendamt Kontakt aufnehmen. Sie berichtet von einem Schüler, dessen Vater vermutlich übergriffig war und der nach der Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt noch am gleichen Tag in einer Krisen-WG unterkam. Generell funktioniere die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt sehr gut, auch wenn es manchmal „nur“ um eine telefonische Hilfestellung geht. Sie selbst ist in ihrer Ausbildung auf solche fordernden Situationen wenig vorbereitet worden, mittlerweile ist das Krisenmanagement in solchen Fällen jedoch fixer Bestandteil der Schularzt-Ausbildung.
Covid-19 und Homeschooling
Die ÖAK führt in ihrer Beschreibung des Berufsbildes von Schulärzten u.a. die „Mitwirkung bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten“ an – ein Thema, das mit der Covid-19-Pandemie eine neue Dimension bekommen hat. Badelt erzählt, dass sie vor Beginndes ersten Lockdowns gemeinsam mit der Direktorin durch die Klassen ging, um mit den Schülern die Maßnahmen zu besprechen bzw. allfällige Fragen zu beantworten. Als die Testpflicht aufkam, waren die Schulärzte diejenigen,die bei Unsicherheiten die Lehrer instruierten, wie die Kinder den Nasenbohrertest durchführen sollten. Auch sind Schulärzte der höheren Schulen an Volksschulen zum anfänglichen Durchtesten ganzer Schulklassen eingesprungen, da der Bedarf an Unterstützung dort größer war. Auch wenn es zu Beginn Engpässe beim Material gab, hat die Umsetzung der Covid-Maßnahmen doch recht gut funktioniert. Ein Kritikpunkt bleibt jedoch die Kommunikation. So berichtet Badelt, dass die Schulleitung freitagnachmittags umfangreiche E-Mails zu den Bestimmungen für Montag bekommen oder gewisse Dinge überhaupt aus der Zeitung erfahren hat. Mittlerweile habe sich aber alles ganz gut eingependelt, die Schüler haben keine Probleme mit dem Testen, auch weniger mit dem Tragen der Masken, es seien hier manchmal die Eltern, die der Meinung seien, dass diese Maßnahmen den Kindern nicht zumutbar seien. Insgesamt bewertet Badelt das Schutzkonzept an den Schulen als funktionierend, Ansteckungen würden eher im privaten Rahmen erfolgen als im Schulalltag.
Der Großteil der Kinder in Badelts Schule ist mit dem Homeschooling relativ gut zurecht gekommen. Das größere Problem, wenn die Schüler lange Zeit nur zu Hause sind, ist die soziale Deprivation, die bei vielen Schülern depressive Verstimmungen hervorgerufen hat. Und natürlich spielt die Gewichtszunahme eine Rolle. Vielen fehlen die schulischen und außerschulischen Bewegungsangebote sehr, die Motivation, wieder neu zu beginnen, ist oft gering.
Durch die Abstinenz hat sich allerdings ganz eindeutig der Stellenwert der Schule geändert. Heute sind die Kinder froh, wenn sie in die Schule kommen dürfen, und endlich wieder mit all ihren Freunden am Unterricht teilnehmen können. Covid-19 hat somit die Schule als Ort des Lernens und sozialen Treffpunkt wieder aufgewertet.
Epidemiologische Daten – interessant, aber ungenutzt im Keller
Dr. Badelt in ihrem Arbeitszimmer an der Schule
„Die Arbeit als Schulärztin macht Spaß, hält einen jung und man bekommt von den Kindern irrsinnig viel zurück.“
Als Schulärztin einer AHS ist Badelt beim Bund angestellt und untersteht dem Bildungsministerium. In Bundesschulen herrscht ein gesetzlicher Betreuungsschlüssel von einer Wochenstunde pro 60 Schüler, an Pflichtschulen sind es 100 Schüler, an Privatschulen können es noch mehr sein. Die Bundesschulen sind diesbezüglich also besser aufgestellt, und trotzdem haben dort arbeitende Schulärzte mit Ausstattungsproblemen zu kämpfen. Viele schreiben auch im Jahr 2021 noch in ein Schularztbuch, da es offensichtlich an Geld oder der entsprechenden Lobby mangelt, um ein funktionierendes EDV-System für diese Zwecke zu organisieren. Dabei könnten über ein solches System für unsere Gesellschaft unglaublich interessante, aber auch wichtige Daten erhoben werden. Alle Daten, die Badelt im Laufe eines Jahres von den ihr anvertrauten 750 Schülern erhebt, landen ungenutzt in einem Archiv im Keller und nicht im Gesundheitsministerium. Mit einer entsprechenden Software könnten diese Daten – natürlich anonymisiert, um dem Datenschutzgesetz gerecht zu werden – genutzt werden, um z.B. Präventionsprogramme und Ähnliches zu initiieren.
Das Impfen
Auf die Frage, welche Botschaft ihr ein Anliegen ist, sprach Badelt den Wunsch an, dass das Impfen in den Schulen auf festen Beinen stehe. An Schulen erreicht man unkompliziert Kinder aus allen sozialen Schichten und hat so die Möglichkeit, diese doch sehr große Bevölkerungsgruppe vor allerlei Krankheiten zu schützen. Es gibt derzeit keinen Impfauftrag der Bildungsdirektion, der diese medizinische Handlung voraussetzt. Da im Gegensatz zu den Pflichtschulen an den Bundesschulen die rechtlichen Bedingungen bzgl. der Haftung, aber auch der Versicherung der Schulärzte nicht geklärt sind, gibt es dazu auch keine eindeutigen Richtlinien.
Abschließend erwähnt die engagierte Ärztin, die mit Begeisterung von ihrer schulärztlichen Tätigkeit spricht, dass sie diesen Weg nie bereut hat. Den nötigen medizinischen Ausgleich holt sie sich bis heute in ihrem Job als Notärztin, aber auch als Ärztin im Louise-Bus der Caritas. Ihre Augen leuchten jedoch dann, wenn sie von der Schule spricht.
Bericht:
Dr. Katrin Spiesberger, MSc.