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Resilienz und Stressbewältigung

Stress in der Praxis: Sofort auf die Bremse treten!

An manchen Tagen möchten alle Patienten rascheinen Behandlungstermin – als hätten sie sich verabredet. Dazu kommen die Impftermine wegen „Corona“. Das verursacht Stress. Man kann Stress auch positiv sehen: Er weckt Leistungsreserven, man läuft zur Höchstleistung auf, wie ein Sportler bei der WM. Distress, der schädliche Teil, wird als unangenehm erlebt. Eustress erlebt man sogar als angenehm, weil er nicht überfordert.

Vor und nach dem Stress

Die wichtigste Regel: Stress frühzeitig erkennen und sofort reagieren. Schon vor der Stresssituation tauchen oft Gedanken auf wie: „Heute wird’s wieder eng.“ Es geht darum, Befürchtungen zu erkennen und sich selbst die Anweisung zu geben, diese in Zuversicht umzuwandeln. Die Erinnerung, dass man früher auch mit Stress fertiggeworden ist, kann für den Arzt hilfreich sein. Selbstgespräche werden zur Selbstinstruktion. Optimal ist es, wenn alle im Team den Stress wirkungsvoll angehen und nicht nur der Arzt alleine (Insellösung). Jeder fordert sich bewusst zu mehr Gelassenheit auf.

Bestimmte Ansichten erzeugen Druck: „Ich muss mehr Patienten pro Tag behandeln“, „Ich muss die Behandlungsdauer abkürzen“, „Ich muss den Patienten noch mehr Leistungen anbieten“ – Glaubenssätze dieser Art produzieren Stress.Wer jedoch den Anfang der Stressspirale erkennt, kann rechtzeitig Gegenmaßnahmen treffen. Achtsamkeit hilft, die Leistungsgrenze zu erkennen, und verhindert Burnout schon im Vorfeld.

Pausen: Work-out muss sein

Fußballer machen nach 45 Minuten eine Pause von 15 Minuten. LKW-Fahrer haben begrenzte Lenkzeiten und sind damit zur Pause verpflichtet. Auch in der Schule sind Pausen unverzichtbar für Konzentration und Lernerfolg. Pausen sind für Dr. Eckart von Hirschhausen „konzentrierte geistige Abwesenheit von der Arbeit in der Praxis, aktive Passivität, in der Mittagspause mal nichtstun und auf die Handynutzung zu verzichten, es auf stumm zu schalten“.1

Pausen erhöhen die Stressresistenz – die Leistungskraft bleibt erhalten. Die Pause sollte einen Kontrast zur Arbeit darstellen. Nur schnell einen Kaffee zu trinken und einen Müsliriegel zu knabbern zählt nicht als offizielle Arbeitspause. Bewährt hat sich die Konzentration auf schöne Ereignisse, die sog. „daily uplifts“. Im Fachjargon heißt das Wahrnehmungslenkung oder „Kopfkino“. Hauptsache, die Gedanken kreisen nicht wieder um die Arbeit in der Praxis, um Patienten und Termine.

Negative Selbstaussagen verändern

Wenn nach Freizeitstress direkt der Arbeitsstress folgt, sind keine Ruhereserven vorhanden. Der Organismus schafft eine „Schutzschicht gegen Stress“. Je belastbarer, desto weniger erregungsbereit ist er, und desto weniger werden Anforderungen als Stress empfunden.

Stress zu tolerieren kann zur Gewohnheit werden und langfristig zu psychosomatischen Beschwerden führen. Es gibt eine Alternative: Man nimmt die Situation wahr, und statt darunter zu leiden, macht man sich bewusst, dass es keine Option gibt. Dadurch bleibt man eigenmächtig und lässt nicht zu, dass der Stress zur dauernden Belastung wird. Es ist besser, die Gefühle durch Selbstgespräche zu steuern, als sie zu verdrängen. Man kann sich genauso gut entscheiden, auf die Situation mit Gelassenheit zu reagieren, sofern alle Rationalisierungsmaßnahmen zum Praxisbetrieb bereits realisiert sind. Denn Stress kann auch ein Signal dafür sein, dass man im Praxisablauf noch weiter rationalisieren kann.

Wer ein hohes Anspruchsniveau hat, gibt dem Stress eine Chance. Der Perfektionist, der dauerhaft mehr powert als möglich, stresst sich und sein Umfeld. Hundert Prozent Leistung sind doch genug. Müssen es immer hundertzwanzig sein? Es gibt einen Unterschied zwischen Perfektion und Perfektionismus.

Resilienz: innere Widerstandskraft verbessern

Der Begriff Resilienz stammt aus dem Lateinischen („resilire“) und bedeutet „zurückspringen“ oder „abprallen“. Damit werden die inneren Kräfte bezeichnet, die helfen, nach den starken Arbeitsbelastungen an einem langen Tag wieder den normalen Modus zu finden. Es geht dabei nicht um die Reduzierung von Stress selbst, sondern darum, wie man nach der Belastung schnell wieder das Gleichgewicht findet.

Mit Resilienz ist es wie im Sport: Wer Muskeln und Kreislauf nicht regelmäßig trainiert, gerät schon bei kleineren Anstrengungen aus der Puste. Die eigene Widerstandskraft bei Stress zu stärken erfordert zwei Grundhaltungen: die Akzeptanz der Situation und den Optimismus, trotz der Belastungen alles gut zu überstehen. Man soll sich nicht gegen Umstände auflehnen, die nicht änderbar sind, z.B. dass Patienten umständlich sind, sich zu Vielrednern entwickeln oder wegen jeder Kleinigkeit in die Praxis kommen. Wenn hingegen auch schwierige Patienten als sinnstiftend erlebt werden, wenn es untereinander im Team trotz Stress auch Anerkennung gibt, herrscht eine resiliente Atmosphäre in der Arztpraxis.




Atemtechnik: Stress einfach wegatmen?

Bei zunehmendem Leistungsdenken und längerem Stress kann man durch gezielte Atmung innere Gelassenheit finden. 60 bis 90 Sekunden Pause zwischen zwei Patienten können helfen. Man schließt die Augen und zählt langsam die Sekunden. Dabei konzentriert man sich voll und ganz auf die Atmung. Wichtig ist es dabei auch, die Mund-Nasen-Schutzmaske für einen einsamen Moment abnehmen zu können.


Bei Stress atmen die meisten unbewusst falsch, atmen nicht mehr voll durch und halten für Sekunden sogar die Luft an. Bei Anspannung verändern sich die natürlichen Atemgewohnheiten. Vor allem das Ausatmen, der Abtransport des verbrauchten Sauerstoffs, wird dann vernachlässigt. Bei Stress wird die Atmung unbewusst flach, gepresst, kurz und das Hirn wird unzureichend mit Sauerstoff versorgt. Hinzu kommt in Zeiten der Pandemie die Erschwernis durch das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken. Ein- und Ausatmen ist ein unbewusster Vorgang, der ins Bewusstsein kommen muss, damit er reguliert werden kann. Richtige Atmung ist die Basis für mehr Stressstabilität und eine gute Möglichkeit, innere Spannungen abzubauen. Ideal ist es, wenn man ein Bewusstsein für die Atmung entwickelt, wenn man spürt, ob man flach oder unregelmäßig atmet.

Literatur:

  1. v. Hirschhausen E: Glück kommt selten allein. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 2019

Weitere Literatur:

  • Froböse I: Power durch Pausen. München: Gräfe und Unzer, 2017

  • Maschmeyer C: Selfmade – die Erfolgsformel. München: Ariston, 2018

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