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MOMO – Wiens mobiles Kinderhospiz

"Da gibt es unglaublich viel Leben"

© Lilli Strauss

Dr.in Martina Kronberger-Vollnhofer, MSc;
Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde,
Leitung MOMO

Eines glaubte Martina Kronberger-Vollnhofer schon immer zu wissen: Ärztin wollte sie bestimmt nicht werden – schließlich gab es in ihrer Familie schon genügend Mediziner. Nach der Matura entschied sie sich für das Studium der Publizistik und Theaterwissenschaft, da sie eines Tages im Theater Regie führen wollte. Sie sah Kunst als "Dienst am Menschen".

"Nach ernüchternden Gesprächen mit einigen Kunstschaffenden erkannte ich, dass das Wohlergehen des Menschen in der Kunst meist nicht im Vordergrund steht", erklärt die Leiterin des Kinderhospizes MOMO. So wurde es doch das Medizinstudium! Daneben war sie ehrenamtlich an der Abteilung für Kinder und Jugendliche am Neurologischen Zentrum Rosenhügel der Stadt Wien und später im Forschungsinstitut des St. Anna Kinderspitals tätig. Nach Abschluss des Studiums absolvierte sie die Ausbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde mit dem Additivfach Hämatologie und Onkologie und vertiefte sich später in den Fachbereich Palliative Care.

Bewusst hinsehen

Auf die Frage, warum sie sich ausgerechnet für die Palliativmedizin entschieden habe, erklärt die Kinderärztin: "Ich bin im Laufe der Jahre im St. Anna Kinderspital so oft mit dem Tod konfrontiert worden. Für viele Ärzte ist der Tod von Kindern so belastend, dass das Thema Sterben gerne verdrängt wird. Offenbar habe ich die Gabe mit auf den Weg bekommen, mich belastenden Situationen stellen zu können. Ich habe es nämlich immer wieder geschafft, den betroffenen Familien in diesen schwierigen Augenblicken Kraft und Zuversicht zu vermitteln. So ist der Entschluss, mich der Palliativmedizin zu verschreiben, über die Jahre gereift."

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"Es ist ein großer Unterschied, ob man Gast oder Gastgeber ist. Das Zuhause gibt Menschen mehr Sicherheit, als Gastgeber ist man in einer anderen Rolle."

Jeder Moment zählt

"In meiner mehr als zwanzigjährigen Spitalstätigkeit mit krebskranken Kindern wurde mir zunehmend bewusst, dass nicht nur die medizinische Versorgung, sondern auch die psychosozialen Aspekte und die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen im Vordergrund stehen sollten", verdeutlicht Kronberger-Vollnhofer.

"Und wie so oft im Leben wurde ich genau zum richtigen Zeitpunkt − nämlich im Herbst 2012 − gebeten, ein Konzept für ein mobiles Kinderhospiz und Kinderpalliativteam in Wien zu erstellen. Hier konnte ich meine Vorstellung einbringen, dass das persönliche Umfeld der Kinder eine Gesamtheit darstellt und somit Eltern, Geschwister, Großeltern und bei Bedarf auch die Freunde oder die Schulklasse in die Betreuung miteinbezogen werden sollen", schildert die engagierte Ärztin. Ein halbes Jahr später stand das Konzept, das gemeinsam mit der Caritas und Caritas Socialis sowie der mobilen Kinderkrankenpflege (MOKI-Wien) entwickelt wurde. Seitdem begleitet das multiprofessionelle mobile Kinderhospiz und Kinderpalliativteam MOMO lebensverkürzend oder lebensbedrohlich erkrankte Kinder und Jugendliche von 0 bis 18 Jahren. "Besonders ermutigend fand ich, dass ich mit MOMO die Möglichkeit bekam, nicht nur krebskranken Kindern, sondern vor allem auch jenen mit anderen schweren Erkrankungen beistehen zu können", beschreibt Kronberger-Vollnhofer die Anfänge ihrer Tätigkeit bei MOMO.

Kinderärztin, Palliativmedizinerin und Mutter

Nach einer kurzen Pause erzählt uns die Mutter einer 10-jährigen Tochter und eines 13-jährigen Sohnes, dass sie bereits länger als 24 Stunden auf den Beinen ist, da sie die Nacht zuvor bei einem sterbenden Kind und dessen Familie verbracht hat und nun direkt ins Büro zu unserem Interviewtermin gekommen ist. Sie wirkt etwas erschöpft, und trotzdem vermittelt sie uns eine bewundernswerte Kraft, die ihr anscheinend diese besondere Art der Arbeit gibt. An solchen intensiven Arbeitstagen ist für die MOMO-Leiterin der Spagat zwischen Beruf und Familie besonders herausfordernd, denn auch ihre eigenen Kinder haben Wünsche und Bedürfnisse.

Kronberger-Vollnhofer erklärt ruhig: "Ja, es gibt immer wieder unglaublich intensive Momente für uns im Alltag. Wir erleben natürlich auch den Tod, aber oftmals geht es eben nicht um das Sterben, sondern wir kommen mit ganz viel Leben in Berührung. Wir alle hier bei MOMO werden mit schönen und fröhlichen Augenblicken beschenkt", erklärt uns die Ärztin.

Oftmals ist es nur ein Blick, ein Lächeln, eine Träne oder das offene Gespräch bzw. das Vertrauen eines Kindes, das die unermüdliche Medizinerin so berührt und ihr immer wieder zeigt, wie besonders wertvoll die Arbeit mit kranken Kindern und ihren Angehörigen ist. Dieses "Zeit zu haben und für die ganze Familie da sein zu können" erlebte sie als Ärztin im Krankenhaus nämlich deutlich seltener.

Wenn ein Kind schwerkrank ist, tauchen viele Fragen auf:

  • Wie geht es weiter?

  • Wie soll ich die neue Situation bewerkstelligen?

  • Welche Betreuung benötigt mein Kind?

  • Wie muss das Kinderzimmer adaptiert werden?

  • Wen kann ich im medizinischen Notfall kontaktieren?

  • Wie sage ich es bloß den Geschwistern und Großeltern?

  • Kann ich mit Kindern über Krankheit und Sterben sprechen?

  • Kann ich meinem gesunden und meinem kranken Kind gleichzeitig gerecht werden?

  • Wie kann ich den Alltag bewältigen?

  • Werden wir jemals wieder Freude empfinden?

  • Welche finanzielle und arbeitsrechtliche Unterstützung gibt es?

  • Wie soll ich je ohne mein Kind weiterleben?

Multiprofessioneller Ansatz

Neben Kronberger-Vollnhofer sind fünf Fachärztinnen und ein Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde sowie eine Ärztin für Allgemeinmedizin, zwei diplomierte Krankenpflegepersonen, eine Sozialarbeiterin, eine Klinische und Gesundheitspsychologin, eine Seelsorgerin, das administrative Team und rund 50 ehrenamtliche Mitarbeiter mit einer Ausbildung zur Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung für das mobile Kinderhospiz tätig.

"Wir begleiten Kinder mit Stoffwechsel-, Herz-, Nieren-, neurologischen oder muskulären Erkrankungen, aber auch krebskranke Kinder und jene mit Unfallfolgen über Wochen bis mehrere Jahre unbürokratisch und völlig kostenlos", erklärt die leitende Ärztin, die sich auch im Vorstand des Dachverbands Hospiz und der Österreichischen Palliativgesellschaft engagiert. Die betroffenen Patienten erhalten im Großraum Wien spezialisierte ambulante Palliativversorgung und Hospizbegleitung.

Stressfreie Hausbesuche in der Geborgenheit ihres Daheims sind für die erkrankten Kinder von besonderem Wert. Es macht nämlich einen großen Unterschied, ob jemand Gast im Spital oder Gastgeber im eigenen Zuhause ist, erklärt Kronberger-Vollnhofer überzeugend.

Bedürfnisse stehen im Vordergrund

"Unsere Hilfe orientiert sich nicht an Diagnosen, sondern ausschließlich an den Bedürfnissen des erkrankten Kindes und seiner Angehörigen", beschreibt die Expertin die MOMO-Prämisse, die mit ihrem Team stets versucht, Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln.

Bevor ein schwerstkrankes Kind aus dem Krankenhaus entlassen wird, organisiert MOMO gemeinsam mit dem Spital alles Notwendige, damit eine professionelle Betreuung zu Hause möglich ist. Dazu zählen Medikamente, Hilfsmittel, oft auch medizinische Geräte, Verbandsmaterial und vieles mehr. Während die Kinder daheim betreut werden, steht das MOMO-Team im ständigen Austausch mit dem Spitals-Team. Sollte ein Klinikaufenthalt nötig werden, wird der Transfer rasch und unkompliziert organisiert.

"Wir nehmen uns bei den Hausbesuchen nicht nur Zeit für die medizinische Behandlung, sondern sprechen über den Krankheitsverlauf und anstehende diagnostische Schritte, aber auch über positive Entwicklungen, überstandene Krisen und stehen für Entlastungsgespräche zur Verfügung. Zudem bieten wir den Eltern die Möglichkeit, sich den Geschwistern zu widmen, damit deren Bedürfnisse nicht zu kurz kommen" so Kronberger-Vollnhofer. Für sie persönlich ist das Wertvolle an den Hausbesuchen, dass sie die Kinder im privaten Rahmen kennenlernen kann, wo sie sich meist wesentlich sicherer fühlen als in der Klinik. "Es ist mir wichtig, dass die Familien von uns zwar jegliche Unterstützung erhalten, dabei aber nicht von uns abhängig werden."

© Lissy Bozovic
© Lissy Bozovic


MOMO-Leiterin und Kinderärztin
Martina Kronberger-Vollnhofer bei Hausbesuchen

MOMO – ist Zeit

Kronberger-Vollnhofer rechnet stolz vor: "In den letzten sechs Jahren konnten wir 290 Kinder und deren Familien zu Hause betreuen und haben knapp 19000 Betreuungsstunden geleistet. In Krisensituationen bieten wir auch rund um die Uhr einen aufsuchenden Bereitschaftsdienst an." Für ihr Engagement wurde Kronberger-Vollnhofer neben vielen anderen Auszeichnungen als "Österreicherin des Jahres 2015" prämiert. "Hier war ich nominiert und habe den 2. Platz gemacht, 2018 erhielt ich die Auszeichnung ,Woman of the Year 2018‘.

Zeit ist das, was sich die Kinder und Familien von uns wünschen. Deswegen sagen wir oft ,MOMO – ist Zeit!‘ Wir haben uns bei der Gründung des mobilen Kinderhospizes für den Namen Momo aus dem gleichnamigen Roman von Michael Ende entschieden. In diesem Buch kämpft das kleine Mädchen Momo gegen Zeitdiebe. Die Protagonistin verfügt über zahlreiche Eigenschaften, die in der Hospiz- und Palliativbetreuung sowohl wertvoll als auch wesentlich sind: Sie liebt die Menschen, ist eine gute Zuhörerin und hat eine besondere Beziehung zur Zeit", erklärt Kronberger-Vollnhofer.

Die Zuweisung zu MOMO erfolgt meist durch spezialisierte Kliniken und vor allem im ländlichen Raum arbeitet das Hospiz vernetzt mit den betreuenden Hausärzten. Die Nähe zu betroffenen Familien und die rasche Verfügbarkeit von Hausärzten sind eine wertvolle Ressource. Gemeinsam mit dem mobilen palliativmedizinischen Angebot kann somit den kleinen Patienten ermöglicht werden, die verbleibende Zeit mit Leben und schönen Momenten zu füllen.

"Neben Klinikern, Allgemeinmedizinern und Kinderärzten stellt vor allem das Pflegepersonal eine unverzichtbare Säule in der Betreuung von Kindern mit terminalen Erkrankungen dar. Ohne deren Unterstützung könnten wir Ärzte unseren Arbeitsalltag nicht meistern und darum gilt dieser Berufsgruppe meine besondere Wertschätzung", betont die MOMO-Leiterin. "Einer meiner Wünsche für die Zukunft ist mehr Interdisziplinarität im Arbeitsalltag, da die unterschiedlichen Berufsgruppen enorm viel voneinander lernen können. Ich konnte feststellen, dass gegenseitige Anerkennung und ein Miteinander zu mehr Zufriedenheit führen."

"Ich musste mich in meinem ganzen Berufsleben nie fragen, ob das, was ich mache, Sinn ergibt – dies ist ein Geschenk", beschreibt Kronberger-Vollnhofer abschließend ihre besondere Tätigkeit als Ärztin.

Jede Spende hilft

Da das Kinderhospiz rein spendenfinanziert ist, benötigt MOMO laufend finanzielle Unterstützung, um den derzeit 85 betreuten schwerstkranken Kindern und ihren Angehörigen weiterhin Zeit schenken zu können.

MOMO Spendenkonto:
IBAN: AT57 2011 1822 1426 4500, BIC: GIBAATWWXXX, Bank: Erste Bank

Empfänger: Wiens mobiles Kinderhospiz MOMO

Online-Spenden: www.kinderhospizmomo.at

Spenden an MOMO sind steuerlich absetzbar.

Bericht:

Mag. Birgit Schmidle-Loss/Mag. Kerstin Huber-Eibl

Weiterführende Informationen zu MOMO finden Sie unter www.kinderhospizmomo.at

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