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Depression, Angststörung, Demenz

Phytopharmaka im Einsatz gegen psychische Erkrankungen

Phytopharmaka sind Arzneimittel, deren wirksame Bestandteile ausschließlich aus pflanzlichem Material gewonnen werden: Pflanzenpulver, -sekrete, -extrakte oder ätherische Öle. Sie können in zwei Gruppen eingeteilt werden: Für rationale Phytopharmaka liegen für die Anwendung wissenschaftlich überprüfbare Daten (Studien) vor, traditionelle Phytopharmaka hingegen basieren auf langjährigen Anwendungserfahrungen.

Der Kenntnisstand zu Wirksamkeit und Sicherheit pflanzlicher Arzneimittel ist, trotz einiger Verbesserungen in den letzten Jahren, noch weitgehend unbefriedigend. Die bei den Patienten weit verbreitete Annahme, ein Mittel habe allein aufgrund seiner pflanzlichen Herkunft grundsätzlich ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis, trifft nicht immer zu. Daher ist es für Mediziner und Apotheker wichtig, über Wirkung, unerwünschte Wirkungen und Medikamenteninteraktionen der Phytopharmaka Bescheid zu wissen und Patienten bei Bedarf beraten zu können.

Phytopharmaka bei Depression

Johanniskraut

Johanniskraut (Hypericum perforatum) findet Anwendung in der Behandlung der Depression und teilweise auch von Angststörungen. Sein Wirkmechanismus umfasst die Blockade der Serotonin-, Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahme. Es gehört zu den am besten untersuchten Arzneipflanzen: 26 Studien mit insgesamt rund 3320 Patienten verglichen Johanniskraut gegen Placebo, 14 Studien mit gesamt 2263 Patienten verglichen es gegen Standard-Antidepressiva. Die Auswertung von 29 Studien in einem Cochrane-Review bestätigte die Überlegenheit von Johanniskraut bzw. dessen ähnliche Wirksamkeit wie Standard-Antidepressiva gegenüber Placebo bei der Behandlung von Patienten mit „major depression“. Die Verträglichkeit von Johanniskraut und dessen Akzeptanz durch den Patienten sind sehr gut, die unerwünschten Wirkungen liegen auf dem Niveau von Placebo.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie der Depression mit Johanniskraut ist der Einsatz von qualitativ hochwertigen Extrakten, die einen hohen Gehalt an wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen aufweisen und in ausreichender Dosierung eingesetzt werden. In Wirksamkeitsstudien wurden 300–400mg (2 Studien), 500–600mg (13 Studien) und über 900mg Extrakt (20 Studien) eingesetzt.

Johanniskraut kann in Apotheken gekauft und online bestellt werden. Es sind rund 17 Monopräparate und zusätzlich noch Kombipräparate und Tees erhältlich. Gerade der Online-Vertrieb muss kritisch betrachtet werden, da die Extrakte und Mischungen von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Zudem werden die Interaktionen mit konventionellen Arzneimittelnsehr häufig von den Patienten unterschätzt. Johanniskraut induziert das Cytochrom-P₄₅₀-3A4(CYP3A4)-Enzym und führt bei vielen Substanzen, die über dieses Enzym abgebaut werden, zu großen Problemen. Gerade bei älteren Menschen ist Multimedikation ein großes Thema. Die Einnahme von Johanniskraut kann dazu führen, dass Immunsuppressiva, antineoplastische Medikamente, orale Antikoagulanzien, Antidepressiva, Anxiolytika, Antiepileptika und andere Medikamente, die über den CYP3A4-Abbauweg verarbeitet werden, in der üblichen Dosis ihre Wirkung nicht mehr entfalten können. Deshalbist es wichtig, die Patienten immer zu fragen, ob sie zusätzlich zu den verordneten Medikamenten auch Substanzen einnehmen, die sie selbst kaufen. Ist dies der Fall, ist es unerlässlich, die Patienten ausführlich über Nebenwirkungen und Medikamenteninteraktionen aufzuklären.

Phytopharmaka bei Angststörungen

Zur Behandlung von Angststörungen werden häufig Phytopharmaka eingesetzt. Es stehen dafür verschiedene Substanzen zur Verfügung.

Lavendelöl

Lavendelöl blockiert im hyperaktiven Neuron die Ca2+-Kanäle und reduziert so die Neurotransmitterfreisetzung. Es kommt dadurch zur Normalisierung und Stabilisierung der hyperaktiven Neuronen. Unerwünschte Wirkungen durch die Einnahme von Lavendelöl gibt es nur wenige: gastrointestinale Störungen wie Aufstoßen und allergische Hautreaktionen. Demgegenüber stehen zahlreiche Vorteile:

  • kein Potenzial zur Interaktion mit anderen Medikamenten

  • kein Abhängigkeitspotenzial

  • keine Sedierung

  • keine Gewichtszunahme

  • keine sexuellen Funktionsstörungen

Lavendelöl ist ebenfalls in klinischen Studien gut untersucht worden. Es zeigte sich hinsichtlich der Symptomreduktion bei Patienten mit SSAD („subsyndromal anxiety disorder“; subsyndromale Angststörung) eine Überlegenheit gegenüber Placebo – die Wirksamkeit ist mit starker Evidenz nachgewiesen. Ähnliche Ergebnisse wurden bei GAD („generalized anxiety disorder“; generalisierte Angststörung) nachgewiesen. Somit erfüllt Lavendelöl hier ebenso die Kriterien für höchste Evidenz. Die Anzahl der „number needed to treat“ liegt bei 5 und ist damit vergleichbar mit der Effektivität von selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren bei Angsterkrankungen.

Die Empfehlung zur Behandlung von SSAD und GAD mit Lavendelöl ist im Konsensus-Statement „Angststörung – medikamentöse Therapie“, herausgegeben von der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB), festgehalten.

Passionsblume

Die Passionsblume (Passiflora) kann ebenfalls zur Behandlung von Angststörungen eingesetzt werden. Sie wirkt – so wird angenommen – über den Gamma-Aminobuttersäure(GABAA)-Rezeptor, besetzt jedoch andere Bindungsstellen als Benzodiazepine. Es gibt nur zwei kleine Studien, die teilweise zu widersprüchlichen Ergebnissen gekommen sind. Die zu geringe Anzahl randomisierter Studien lässt keine evidenzbasierten Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit zu. Somit zählt die Passionsblume zu den traditionellen Substanzen, die Eingang gefunden haben in die allgemeinmedizinische Praxis und in die Psychiatrie.

Baldrian

Baldrian (Valeriana) wird zur Behandlung von Schlafstörungen, bei Unruhe- und Spannungszuständen, Nervosität, Reizbarkeit, Stress und Prüfungsangst eingesetzt. Auch für diesen Wirkstoff ist die Datenlage schwach. Es gibt nur eine Studie, durch die Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Baldrian möglich sind. Der Wirkmechanismus von Baldrian ist nicht bekannt, es findet jedoch keine Beeinflussung des CYP-Systems statt.

Phytopharmaka bei Demenz

Ginkgo biloba EGb 761®

Das Ginkgo-Extrakt EGb 761® ist einstandardisiertes Spezialextrakt aus den Blättern des Ginkgo biloba. Die weitreichenden Kenntnisse über die Wirkungsweise und die klinische Wirksamkeit von Ginkgo-Extrakten entstammen überwiegend der Erforschung des Ginkgo-Spezialextraktes EGb 761®. Im Internet sind jedoch Hunderte andere Extrakte zu finden.

Zu den pharmakologisch relevanten Inhaltsstoffen von Ginkgo biloba gehören Flavonglykoside (Quercetin, Kaempferol), Terpenlaktone (Ginkgolide, Bilobalid) und Ginkgolsäuren. Die Flavonglykoside machen etwa ein Viertel des EGb-761-Extrakts aus und von gewissen Flavonoiden ist bekannt, dass sie starke antiinflammatorische Eigenschaften haben.

Die klinische Wirksamkeit von Ginkgo biloba EGb 761® stützt sich auf drei Mechanismen im ZNS:

  • die Stabilisierung der mitochondrialen Energiegewinnung

  • die Unterstützung der neuronalen Zellvernetzung

  • die Verstärkung der dopaminergen und cholinergen Neurotransmittersysteme

Zudem weiß man, dass die Neuroinflammation bei verschiedenen ZNS-Erkrankungen wie z.B. neurodegenerativen Erkrankungen (Alzheimerkrankheit, Morbus Parkinson) und traumatischen Hirnverletzungen häufig mit einer Überaktivierung der Mikroglia einhergeht, was zu einer vermehrten Ausschüttung von potenziell neurotoxischen Entzündungsmediatoren wie Stickstoffmonoxid (NO), Prostaglandin E2 (PGE2), reaktiven Sauerstoffspezies (ROS), TNF-alpha, Interleukin(IL)-1-beta und IL-6 führen kann. Gargouri B et al. konnten zeigen, dass EGb 761® diese neurotoxischen Entzündungsmediatoren hemmt und die Aktivierung der Mikroglia blockiert.

Im Vergleich mit anderen Antidementiva wird Ginkgo sehr gut vertragen.

Die Studienlage zur Behandlung vonDemenzerkrankungen mit dem Ginkgo-Extrakt ist sehr gut. 2016 wurde in den S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) festgehalten, dass bei Patienten mit leichter bis mittelgradiger Alzheimerdemenz oder vaskulärer Demenz und nicht psychotischen Verhaltenssymptomen (vor allem Angst) eine Behandlung mit Ginkgo erwogen werden kann (Empfehlungsgrad 0, Evidenzebene Ia).

Besonders wichtig ist es, dabei auf die richtige Dosis zu achten. Mengen von 120–160mg sind zu gering, um eine Wirksamkeit entfalten zu können. Die angestrebte Dosis sollte etwa doppelt so hoch angesetzt sein. Tan MS et al. zeigten, dass EGb 761® in einer Dosierung von 240mg/Tag in der Lage ist, bei kognitiven Störungen und Demenz Einbußen bezüglich Kognition, Fähigkeiten, Verhalten und Gesamteindruck zu stabilisieren oder zu verlangsamen. Eine Metaanalyse von Gauthier S et al. belegt zudem die klinische Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Ginkgo biloba EGb 761® in Tagesdosen von 240mg.

Bericht:

Dr. Sabina Ludin, Dr. Gabriele Senti


Literatur

• Abdel-Kader R et al.: Pharmacol Res 2007; 56(6): 493-502
• Gargouri B et al.: Phytomedicine 2018; 44: 45-55
• Gauthier S et al.: Clin Interv Aging 2014; 9: 2065-77
• Ihl R et al.: World J Biol Psychiatry 2011; 12(1): 2-32
• Kasper S et al.: World J Biol Psychiatry 2018; 19(6): 412-20
• Kasper S et al.: CliniCum Neuropsy, Sonderausgabe 2018
• Möller HJ et al.: Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2019; 269: 183-93
• Mörike K: Pflanzliche Arzneimittel. Wann, wann nicht? Internist 2014; 55: 1361-6
• S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression – Langfassung, 2. Auflage, 2015
• Tan MS et al.: J Alzheimers Dis 2015; 43(2): 589- 603
• Tantchou F et al.: FASEB J 2007; 21(10): 2400-8
• Yoshitake T et al.: Br J Pharmacol 2010; 159(3): 659-68

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