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Pollen, allergologischer Ärzteservice & mehr

Allergie-Update 2022

Pollensaison 2022: früher Start und intensive Birkenblüte

Uwe E. Berger, MBA, Leiter des Österreichischen Pollenwarndienstes der MedUni Wien, fasste die allergierelevanten Informationen der ersten Monate des heurigen Jahres zusammen. Er resümierte, dass laut ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) der heurige Jänner deutlich zu mild war, noch dazu sehr trocken. Ebenso war der Februar einer der wärmsten der Messgeschichte und die für diesen Monat typischen Kältewellen blieben aus. Dieses Klima war ideal für die pollenstäubenden Pflanzen, besonders früh mit ihrer Blüte zu beginnen.

Hasel, Erle und Esche

Den Beginn der Pollensaison dominieren Hasel und Erle. Beide Saisonen starteten dieses Jahr im Februar und damit vor allem im Osten Österreichs rund zwei Wochen früher als im langjährigen Mittel. Der Pollenflug setzte dazu sehr plötzlich ein und die Bäume und Sträucher gaben überdurchschnittlich viele Pollen an den Wind ab. Faktoren, die für Allergiker eine besonders hohe Belastung darstellten. Der Hintergrund: Setzt der Pollenflug dermaßen plötzlich ein, ist der Körper nicht darauf vorbereitet und reagiert mit heftigen Symptomen. Steigt die Pollenkonzentration hingegen langsam an, kann sich der Organismus besser auf die Belastung einstellen und er empfindet die Saison als insgesamt nicht so stark.

Die nächste Belastungswelle folgte mit Esche und Birke. Das allergologische Potenzial der Esche wird oft unterschätzt. Ihre Blüte beginnt nahezu zeitgleich mit der der Birke und endet im Osten spätestens Mitte Mai, im Westen Ende Mai/Mitte Juni. Ihre „Verwandten“ sind Ölbaum, Liguster, Flieder, Goldflieder (Forsythie) und Jasmin, deren Pollen zu Kreuzallergien führen können.

Birkenblüte: Erholte Bäume bringen starke Blüte

Steigen die Temperaturen auf über 15 Grad, beginnt die Birke ihren Blütenstaub an den Wind abzugeben. Der Blütenstand einer Birke umfasst mehrere Millionen Pollen, die noch dazu eine sehr hohe allergene Potenz aufweisen. Der Start der Birkenpollensaison in der dritten Märzwoche war damit auch etwas früher als üblich. Der weit verbreitete Alleebaum hat ein biologisches Muster: Einer schwächeren Saison folgt eine starke. Nachdem die Saison 2021 eher mild ausgefallen war, war heuer im April eine hohe Belastung durch die Pflanzenblüte zu verzeichnen. Dies zeigte auch der Besatz an Kätzchen, der heuer überdurchschnittlich stark war.

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Uwe E. Berger, MBA, Wien @Copyright Georg Wilke
„Die Symptomstärke bei den ­Birkenpollenallergikern war 2021 geringer als in den Jahren davor.
Wir führen dies auch auf das Tragen von Masken zurück, aber auch auf den Zyklus der Birke. 2022 sind wir daher mit einer überdurchschnitt­lichen Saison konfrontiert.“

Gräserpollen-, Beifuß- und Ragweedsaison vom Wetter abhängig

Die dritte Belastungswelle wird durch blühende Gräser verursacht. Verantwortlich sind vor allem hochwachsende Futtergräser sowie Roggen, der als besonders starkes Allergen bekannt ist. Durch die Artenvielfalt leiden Allergiker zwei Monate und länger. Normalerweise beginnt die Pollensaison für Gräser Ende April/Anfang Mai und dauert, mit zwei bis drei Höhepunkten, bis in den Juli und eventuell August. Ihre Intensität und der Blühbeginn hängen von Faktoren wie den Niederschlägen im April und Mai und der Temperaturentwicklung im Mai und Juni ab. Erfahrungsgemäß sind die Schwankungen von einem Jahr zum anderen eher gering. Hohe Belastungen durch Gräserpollen sind noch bis Anfang Juli im Raum Bregenz und St. Pölten zu erwarten, in Wien bis Ende Juni. Kurzfristig können durch spezielle Bedingungen aber auch sehr hohe Belastungen durch andere Pollenallergene verursacht werden.

Die miteinander verwandten Pflanzen Beifuß und Ragweed (Ambrosia, Traubenkraut) blühen von Anfang/Mitte Juli bis in den Herbst hinein. Auch für diese Pflanzen ist eine frühe Prognose schwierig, denn der Beginn und das Ausmaß der Saison hängen nicht nur von der Temperatur, sondern auch von den Lichtstunden im Mai/Juni sowie der Niederschlagsmenge ab. Der Pollenflug der Wildkraut- und Gewürzpflanze Beifuß erreicht für gewöhnlich Mitte August seine höchsten Werte und wird bis in den September hinein dauern, das Unkraut Ragweed beginnt ab Mitte August zu blühen.

Ragweed: Maßnahmen zur Eindämmung

Das Traubenkraut Ragweed stellt aufgrund seiner hohen allergischen Potenz und seiner rasanten Ausbreitung ein zunehmend großes Gesundheitsproblem dar. Maßnahmen zur Eindämmung stehen daher weit oben auf der Agenda der betroffenen Bundesländer vor allem im Osten Österreichs. In Niederösterreich werden in enger Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Pollenwarndienst seit mehreren Jahren entsprechende Maßnahmen durchgeführt, wodurch die Menge an Pflanzen nicht mehr zugenommen hat, sondern sogar rückläufig ist. Aktuell wird das Burgenland ein Projekt zur Bekämpfung dieser äußerst widerstandsfähigen Unkrautpflanze starten. Unter anderem soll eine Broschüre über die Notwendigkeit und Möglichkeiten der Eindämmung aus ärztlicher Sicht informieren und auch darüber, was jeder Einzelne tun kann, um diesem starken Allergieauslöser Einhalt zu gebieten.

Pollensaison fast ganzjährig

Nach einer kurzen Verschnaufpause ist Ende Dezember noch die Blüte der Purpurerle zu erwarten. Sie hat sibirische Gene und ist dadurch winterresistent. Die Purpurerle blüht bis zu zwei Monate vor ihren heimischen Verwandten und sorgt damit für einen beinahe ganzjährigen Pollenflug.

Neuer Service für Ärzte

Der Österreichische Pollenwarndienst bietet seit vielen Jahren auch Ärzten wertvolle Unterstützung für den Praxisalltag, wie Dr. Markus Berger, ärztlicher Mitarbeiter des Österreichischen Pollenwarndienstes der MedUni Wien, erörterte. Im letzten Jahr wurde dieser Service ausgebaut und nach einer Pilotphase, in der Ärzte Feedback geben und ihre Erfahrungen einbringen konnten, entsprechend verbessert und er steht nun auf der Plattform www.pollenallergie.at jedem Arzt im deutschsprachigen Raum zur Verfügung.

Behandelnde Ärzte können online auf Informationen ihrer Patienten mit Pollenallergie zugreifen und eine Verbindung zum Pollenflug in der Region des Patienten herstellen. Die Informationen zum regionalen Pollenflug plus Vorhersage, zu den personalisierten Symptomdaten und deren Korrelation werden in Form einer leicht verständlichen, übersichtlichen Grafik dargestellt. Damit hat der Arzt auf einer PDF-Seite kompakt alle relevanten Informationen auf einen Blick.

Und so geht’s: Der Patient braucht dafür die Pollen-App des Österreichischen Pollenwarndienstes und muss im Pollentagebuch registriert sein. Sitzt er seinem Arzt gegenüber, generiert er einen Code, den er an den behandelnden Arzt weitergibt. Über einen gesicherten Link kann der Arzt dann auf die Informationen seines Patienten zugreifen. Damit braucht es keinen Versand von persönlichen Daten per E-Mail. Der große Vorteil: Ärzte werden in der Anamnese unterstützt und sparen sich damit Zeit bei der Diagnose, denn das Patientengespräch kann effizienter, da auf Basis von Fakten, geführt werden. Dazu kann der Einfluss der Therapie auf die Symptomlast evaluiert werden. Der Arzt erkennt leichter, wenn die Behandlung nicht den gewünschten Erfolg bringt, und kann die Therapie anpassen.

Forschung ist Basis aller Services

Der Österreichische Pollenwarndienst der Medizinischen Universität Wien versorgt die Bevölkerung seit mehr als vier Jahrzehnten mit aktuellen Informationen zum Pollenflug und ist damit für viele Allergiker ein unverzichtbarer Begleiter während der Blütezeit der Pflanzen. All diese Services sind kostenlos und wissenschaftlich fundiert.

Die Einrichtung an der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten ist Vorreiter und Impulsgeber vergleichbarer Institutionen in anderen europäischen Ländern und spielt in der europäischen Allergieforschung eine ganz zentrale Rolle. Sie ist gefragter Projekt- und Studienpartner sowie Quelle für fachliche Expertise und Daten. Über Letztere verfügt in diesem Ausmaß weltweit nur die österreichische Forschungsgruppe. Zusätzlich zu den Symptomdaten aus dem Pollentagebuch (erreichbar unter www.pollentagebuch.at ) laufen in Wien auch die Pollendaten von über 600 Messstationen aus 38 Ländern im „European Aeroallergen Network“ (EAN) zusammen. Damit ist diese europäische Pollendatenbank die größte Datenbank ihrer Art.

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„Die Vorteile dieses Services liegen in einer verbesserten ­Datenschutzsituation, zudem ­unterstützen die Daten den Arzt bei der effizienteren Anamnese, ­Diagnose sowie Therapieevaluierung und -anpassung.“

Ozon stresst Pflanzen und Allergiker

Erkenntnisse der Wiener Forschungsgruppe belegen auch, dass Klimawandel und Luftverschmutzung einen deutlichen Einfluss auf Allergiker und Pflanzen haben – allen voran Ozon (O3).1, 2 Im Rahmen der Untersuchung wurden die möglichen Auswirkungen bestimmter Luftqualitätsparameter auf die Beschwerdeintensität bei Nutzern des Pollentagebuches analysiert. Es zeigte sich, dass speziell das aggressive Reizgas Ozon unabhängig von der Menge an Pollenkörnern in der Luft die Beschwerden vor allem bei Gräser- und Birkenpollenallergikern verschlechtert. Die Untersuchung gibt Aufschluss über das Wechselspiel zwischen Allergenen und Umweltfaktoren und konnte erstmals zeigen, welche Parameter in welchem Ausmaß zusammenspielen, wenn Patienten Beschwerden haben.

Diagnose und Behandlung von Allergien durch die Pandemie beeinträchtigt

Das Coronavirus strapaziert die globalen Gesundheitssysteme und stellte auch allergologisch tätige Ärzte vor zahlreiche Herausforderungen. Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim, Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung an der MedUni Wien und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI), berichtete, dass dabei auch die Allergen-spezifische Immuntherapie (AIT), als Injektionen oder sublinguale Anwendung in Tabletten- oder Tropfenform, nicht unbeeinflusst blieb. Das zeigte eine Umfrage der Europäischen Akademie für Allergie und klinische Immunologie (EAACI) ganz deutlich.3 Nur einer von zehn Ärzten initiierte die Injektionskur wie gewohnt und unabhängig von der aktuellen Situation. Fast 60% gaben an, den Beginn der AIT auf einen Zeitpunkt nach der Pandemie zu verschieben. Besser war die Situation bei der sublingualen AIT: Immerhin mehr als ein Drittel (35%) erklärten, die Therapie unabhängig von der Pandemie einzuleiten. Auch bereits angefangene Allergen-spezifische Therapien wurden mit 75% nur ungenügend fortgeführt. Das Fazit der Studienautoren: Die Daten deuten auf eine Unterbehandlung mit AIT in der Pandemie hin, die lang anhaltende negative Auswirkungen auf den Erkrankungsgrad von Allergiepatienten haben könnte.

Unterbehandlung: bedenklich für Pollen-, gefährlich für Insektengiftallergiker

Der Klimawandel sorgt dafür, dass sich die Blühzeiten der Pflanzen verlängern und im Kalender nach vorne verschieben sowie invasive Pflanzenarten nun auch bei uns gedeihen. Verschmutzte Luft belastet die ohnehin schon überreizten Atemwege und erzeugt bei Pflanzen einen derartigen Stress, dass sie mehr Pollen produzieren. Dies sind wesentliche Einflussfaktoren für die kontinuierliche Zunahme von Atemwegsallergien. Die Allergen-spezifische Immuntherapie lindert nicht allein die Symptome einer allergischen Reaktion, sondern bekämpft auch die Ursache der Erkrankung erfolgreich. Sie kann bei Pollenallergikern in acht von zehn Fällen erreichen, dass sich der Körper an den Allergieauslöser gewöhnt. Eine späte Diagnose und ein verzögerter Therapiebeginn haben für Pollenallergiker jedoch Folgen. Das Asthmarisiko wird erhöht, denn bleibt die allergische Entzündung unbehandelt, wandert sie in die unteren Atemwege. Für Menschen mit einer potenziell lebensbedrohlichen Insektengiftallergie kann die Allergen-Immuntherapie sogar lebensrettend sein.

Die EAACI hat für die Behandlung mit der Allergen-spezifischen Immuntherapie während der Pandemie ein Positionspapier veröffentlicht.4 Es soll den Behandlern Anleitung und damit Sicherheit in der Therapie der Allergiepatienten geben.

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Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim, Wien
„Das Aussetzen einer Allergen-­spezifischen Therapie kann für ­Allergiker sehr schlecht sein: Die ­Symptome bestehen weiterhin und die Erkrankung schreitet fort.“

Bericht:

Dr. Katrin Spiesberger, MSc

Quelle:

Pressegespräch des Österreichischen Pollenwarndienstes der MedUni Wien und der IGAV

Literatur

1 Berger M et al.: Impact of air pollution on symptom se­ver­ity during the birch, grass and ragweed pollen period in Vienna, Austria: importance of O3 in 2010-2018. Environ Pollut 2020; doi: 10.1016/j.envpol.2020.114526
2 Berger M et al.: The influence of air pollution on pollen allergy sufferers. Allergol Select 2021; 5: 345-8
3 Pfaar O et al.: COVID-19 pandemic and allergen immunotherapy – an EAACI survey. Allergy 2021; 76(11): 3504-16
4 Klimek L et al.: Handling of allergen immunother­apy in the COVID-19 pandemic: an ARIA-EAACI statement. Allergy 2020; 75(7): 1546-54

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