© UfimtsevaV

Der ganzheitliche Blick

Das Konzept „One Health“

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Gesundheitszustand des Planeten und all seiner Bewohner leider immer weiter verschlechtert. Die Folgen von Treibhausgasemissionen, Umweltverschmutzung, Städtebau mit Versiegelungen der Oberflächen, Rodung ursprünglicher Landschaftsgebiete sowie Übernutzung und Monokultur bei Land- und Viehwirtschaft haben nicht nur Auswirkungen auf „non-communicable diseases“ (NCD), wie Asthma, Allergien und Stoffwechselerkrankungen, sondern auch auf die Entstehung und Übertragung von Infektionskrankheiten. Oft ist der Zusammenhang nicht auf den ersten Blick erkennbar, doch viele medizinisch-klinische Situationen und auch Forschungsfragen müssen dringend in einen größeren, universellen, ganzheitlichen Bezug gesetzt werden. Ein interdisziplinäres Konzept ist das der „One Health“, bei dem Experten aus möglichst vielen relevanten Gebieten auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zusammenarbeiten, mit dem Ziel, die Gesundheit von Mensch und Tier sowie desPlaneten mit allen Umweltaspekten möglichst zu erhalten und zu verbessern.

In der neu gegründeten Arbeitsgruppe „One Health“ innerhalb der Europäischen Akademie für Allergologie und Klinische Immunologie (EAACI) wurden Aspekte zu den Themen Covid und Allergologie in kürzlich publizierten Artikeln bearbeitet.1,2 „One Health“ und der resultierende interdisziplinäre Dialog entsprechen auch den Leitthemen des Wiener interuniversitären Messerli Forschungsinstitutes, in dem beide Autorinnen forschen.

Infektionen: „coronavirus-induced diseases“ (Covid)

Das aktuelle Beispiel der Covid-19-Pandemie, welche bis dato über 200 Millionen Infizierte und darunter über 4,2 Millionen Tote einschließt,3 ist ebenfalls als Symptom der Erkrankung unseres Globus zu betrachten. Leider stehen uns vermutlich immer häufiger solche Pandemien in globalem Ausmaß bevor.1 Dazu tragen in erster Linie die Zerstörung von und das Eindringen in Habitate von Wildtieren bei, wodurch der Kontakt zum Menschen erhöht und eine Übertragung von pathogenen Erregern, wie eben auch Viren, erst möglich wird. In die gleiche Sparte fallen auch die – oft unter unzureichenden hygienischen Maßnahmen durchgeführte – Verarbeitung und der Genuss von exotischen Tieren. Die veränderten Klimabedingungen begünstigen über steigende Temperaturen, Luftfeuchtigkeit und Extremwetterlagen die Verteilung von Erregern und die Besiedelung von „neuen“ Wirten. Die gesteigerte globale Reise- und Frachttätigkeit trägt dann das ihrige zur Weiterverbreitung bei.

Allergologische Erkrankungen

Auch asthmatische und allergologische Erkrankungen – nicht nur von uns Menschen, sondern auch von unseren Haus- und Hoftieren – sind direkt durch unsere Umwelt, das Klima und unsere Lebensbedingungen beeinflusst. Im Folgenden sollen nur drei Beispiele aus der langen Liste der möglichen Effekte besprochen werden.

Lipocaline

Eine bestimmte Gruppe von Proteinen, die Lipocaline, haben eine Trägerfunktion, unter ihnen auch das Milcheiweiß Beta-Lactoglobulin (BLG). Sie besitzen eine molekulare Tasche, in welche kleine hydrophobe Moleküle passen, wie zum Beispiel Eisen-Siderophor-Komplexe, Vitamin A, Vitamin D oder Hormone. Auch an anderen Bindungsstellen tragen sie Liganden, wie Zink. Wir konnten in unseren eigenen Studien zeigen, dass diese Beladung eine große Rolle für die Immunantwort spielt: Ist das BLG beladen, führt es zu einer Stilllegung (Resilienz)3, 4 oder Umlenkung5 der Immunantwort, ist es allerdings nicht beladen, kann es Allergien auslösen. BLG kommt also in Milch vor und daher könnte Rohmilch mit seinen Liganden zur Schutzwirkung gegen Allergien beitragen. Wir konnten aber auch zeigen, dass BLG in Stallstäuben und Umgebungsluft, verteilt über den Urin von Rindern, mit Zink beladen vorkommt.6 Auf diesen beiden Wegen kann beladenes BLG zum allergieprotektiven Effekt der Bauernhöfe beitragen. Unter der Perspektive von „One Health“ stellt sich daher die Frage, unter welchen Bedingungen die BLG-Beladung optimal und ausreichend stattfinden kann bzw. wie es in die Umgebung gelangt und ob hierbei Haltungs- und Reinigungsbedingungen, Stallbauweisen, Stress- und Gesundheitssituation der Tiere oder die Beschaffenheit und Herkunft des Futters eine Rolle spielen. Damit würden auch die Tierhaltung und das Tierwohl einen direkten Einfluss auf die Prävalenz von allergischen Erkrankungen beim Menschen nehmen.

Wetterkapriolen

Der Klimawandel und die Erderwärmung führen zu häufigeren und intensiveren Wetterkapriolen mit vielen Gewittern und Stürmen. Diese haben einen direkten Effekt auf die Intensität und das Auftreten von Asthmaanfällen bei Patienten, ein Phänomen, das der Erscheinung sogar den eigenen Namen „Thunderstorm-Asthma“ eingetragen hat, welches 1985 beschrieben wurde und unter anderem im November 2016 neun Tote in Australien gefordert hat.7 Ein Grund dafür ist, dass unter nassen Bedingungen oder während eines Gewitters die Pollenkörner zum Teil vermehrt und rasch aufgrund von osmotischem Schock aufplatzen und ihren Inhalt in die Atmosphäre entlassen – darunter auch Allergen-tragende Stärkekörner aus dem Zytoplasma und andere sehr kleine Teilchen. Diese geraten dann in kürzester Zeit in großen Mengen in die tieferen Regionen des Bronchialsystems bis in die kleinen Atemwege der allergischen Patienten und verursachen schwere asthmatische Anfälle, welche letztendlich bis zum Tod führen können. „Thunderstorm-Asthma“ wurde auch bei Patienten beobachtet, die bis dahin keine asthmatischen Beschwerden hatten (z.B. bei Patienten mit allergischer Rhinitis). Zusätzlich führen die höheren Temperaturen und veränderten Jahreszeiten auch zu früheren und längeren Blühzeiten von Pflanzen und damit verschobenen saisonalen Beschwerden, welche für die betroffenen Patienten letztendlich in beinahe schon perennialen Beschwerden enden können – ein wichtiger Punkt, der in der Anamnese bei der allergologischen Abklärung berücksichtigt werden muss.

Biodiversität

Der Verlust der Biodiversität und der Nähe zur Natur, zu Erdböden und zum Grün im Rahmen der Urbanisierung und der modernen Städtebauweise ist ein weiterer Faktor, der letztendlich die Asthma- und Allergieentstehung bei Mensch und Tier mitbestimmt.8 Mehr Grün und Vegetation in der Nachbarschaft und längerer Kontakt mit einem grünen Umfeld zeigten eine schützende Wirkung gegen allergische Sensibilisierung bei 10-jährigen Kindern.9 Eine ähnliche Beobachtung wurde in einem finnischen Programm, welches von 2008 bis 2018 lief,10 gemacht, in dem folgende Schwerpunkte gesetzt und umgesetzt wurden:

  • (i) Bewusstsein für Umwelt und Natur wurde in Kindertagesstätten gelehrt,

  • (ii) der Naturkontakt wurde explizit forciert und Outdoor-Aktivitäten wurden gefördert,

  • (iii) die Verwendung von Obst und Gemüse im Sinne einer gesunden Ernährung wurde gesteigert,

  • (iv) Nahrungsmittelabfälle wurden reduziert,

  • (v) die personalisierte und digitalisierte Gesundheitsversorgung wurde auch im Sinne eines reduzierten CO2-Abdruckes gefördert und

  • (vi) Programme zur Verbesserung der Luftqualität – mit Strategien, um Verkehr und industriebedingte Luftverschmutzung mittels aktiver und öffentlicher Mobilität zu vermeiden – wurden implementiert,

  • (vii) in Städten wurden naturbasierte Maßnahmen gesetzt, und

  • (viii) da auch die Innenraum-Luftqualität eine große Rolle spielt, wurden weitere Schritte in Richtung Rauchverbot unternommen („stopsmoking policy“).

Die Effekte des Gesamtprogramms waren eine Reduktion von Asthma-bedingten Spitalstagen um 50%, des Bedarfs an Nahrungsmittelallergie-Diäten ebenfalls um 50%, von Berufserkrankungen um 45% und der Kosten für allergische Erkrankungen um 30%.10 Möglicherweise sind die zugrunde liegenden Mechanismen auch über das Mikrobiom von Pflanzen, Böden oder unseren Haustieren vermittelt, wobei sich zeigte, dass Hund und Herrl oft das gleiche Hautmikrobiom tragen und gemeinsam an ähnlichen Allergien erkrankt sind.11 Ein Verlust der Biodiversität in der Natur, aber auch bei der Ernährung könnte also auch einen Verlust der Biodiversität vom Mikrobiom der Haut und des Darms bei Mensch und Tier nach sich ziehen und daraus könnte eine reduzierte Schutzwirkung gegen Asthma und Allergien resultieren.

In der EAACI-Arbeitsgruppe „One Health“ gab es im Rahmen mehrerer Workshops und Arbeitstreffen daher auch einen großen Konsens bezüglich der Dringlichkeit einer ganzheitlichen Herangehensweise, um asthmatische und allergologische Erkrankungen zu verhindern oder zu reduzieren. Über die nächsten Jahre zählen dazu eine strategische Datensammlung über systematische Literaturrecherchen, später eventuell mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz (AI) und „machine learning“ das Verfassen von Leitlinien und Manifesten sowie letztendlich die Diskussion mit und Instruktion von Entscheidungsträgern aus Politik, Städtebau, Medizin und Veterinärmedizin, Ökologie, Landschaftsplanung, Klimapolitik sowie Klimaaktivisten, Patientenvertretern, Medien und Gesundheitsversicherungen. Das Konzept „One Health“ soll also alle Verantwortlichen miteinbeziehen und schließlich zu einer Gesundheit für alle verhelfen.

Erika Jensen-Jarolim ist Miterfinderin in „LCN2 as a tool for allergy diagnostic and therapy”. Ref. No: EP 14150965.3, Year: 01/2014; US 14/204, 570, und Gesellschafterin in Biomedical International R+D, Wien, Austria, Inhaberin der Patente.

Literatur:

  1. Korath ADJ et al.: One health: EAACI position paper on coronaviruses at the human-animal interface, with a specific focus on comparative and zoonotic aspects of SARS-Cov-2. Allergy 2021

  2. Pali-Schöll I et al.: One health in al­lergology: a concept that connects humans, animals, plants, and the environment. Allergy 2021; 76(8): 2630-3

  3. WHO: Coronavirus (COVID-19) Dashboard. Zuletzt aufgerufen unter https://covid19.who.int/ am 16. 8. 2021

  4. Afify SM et al.: Bovine holo-beta-lactoglobulin cross-protects against pollen allergies in an innate manner in BALB/c mice: potential model for the farm effect. Front Immunol 2021; 12: 611474

  5. Roth-Walter F et al.: Cow’s milk protein beta-lactoglobulin confers resilience against allergy by targeting complexed iron into immune cells. J Allergy Clin Immunol 2021; 147(1): 321-34.e4

  6. Pali-Schöll I et al.: Beta-lactoglobulin (BLG) accumulates in stable dust associated with zinc: potential implications for the allergy- and asthma-protective effect. Allergy 2019; 74: 848

  7. D’Amato G et al.: Thunderstorm-related asthma attacks. J Allergy Clin Immunol 2017; 139(6): 1786-7

  8. Roslund MI et al.: Biodiversity intervention enhances immune regulation and health-associated commensal microbiota among daycare children. Sci Adv 2020; 6(42): eaba2578

  9. Paciencia I et al.: Neighbourhood green and blue spaces and allergic sensitization in children: a longitudinal study based on repeated measures from the generation XXI cohort. Sci Total Environ 2021; 772: 145394

  10. Haahtela T et al.: The Finnish Allergy Program 2008-2018: society-wide proactive program for change of management to mitigate allergy burden. J Allergy Clin Immunol 2021; 148(2): 319-26

  11. Lehtimaki J et al.: Simultaneous allergic traits in dogs and their owners are associated with living environment, lifestyle and microbial exposures. Sci Rep 2020; 10(1): 21954

Back to top