Brigadier DDr. Sylvia Carolina Sperandio, MBA

Die oberste Frau der österreichischen Militärmedizin

Fast Ehrfurcht gebietend erstreckt sich das herrschaftliche Kommandogebäude General Körner die Hütteldorfer Straße im 14. Wiener Gemeindebezirk entlang. Dieser traditionsreiche Sitz beherbergt heute viele Abteilungen des Bundesministeriums für Landesverteidigung und auch das Büro der Leiterin des Militärischen Gesundheitswesens des Bundesheeres der Republik Österreich: Brigadier DDr. Sylvia Carolina Sperandio, MBA. In ganz Österreich gibt es wahrscheinlich niemanden, der ähnlich viel militärmedizinisches Wissen hat bzw. ähnlich viel auf diesem Sektor geleistet hat. Seit 2017 führt diese bewundernswerte und sehr sympathische Medizinerin nun mehr als 1200 Mitarbeiter. Aber eins nach dem anderen.

Erste medizinische Schritte

© Harald MINICH

Brigadier DDr. Sylvia Sperandio,
MBA Leiterin Militärisches Gesundheitswesen,
Bundesheer der Republik Österreich

Seit ihrem vierten Lebensjahr war Sperandio klar, dass sie Ärztin werden wollte. Geboren in Vöcklabruck besuchte sie das Gymnasium in Amstetten, um dann Humanmedizin in Wien zu studieren. Ihr vielseitiges Interesse brachte sie bereits damals nach Nepal in ein Kinderspital zur Famulatur, in deren Rahmen sie mit tibetischer Medizin, später auch mit der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) in Berührung kam, der sie bis heute treu geblieben ist. Auch während ihrer Turnusausbildung in St. Pölten erwarb die sportbegeisterte Jungmedizinerin etliche medizinische Zusatzqualifikationen. So absolvierte sie neben dem Diplom für Alpin- und Höhenmedizin auch einen Lehrgang für Tropenmedizin in Bangkok. Zurück in Österreich besuchte sie als einzige und auch erste Frau durch einen Zufall den Notarztkurs des Bundesheeres, der eigentlich zur Fortbildung der Ärzte im Militärdienst vorgesehen war. Mit Kaiserjägern und Generalstabsoffizieren im Stammbaum, könnte man meinen, dass es bereits davor eine familiär bedingte Affinität zum Militärwesen gab. Sperandio selbst beschreibt ihren Entschluss, nach dem absolvierten Turnus beim Bundesheer tätig zu werden, jedoch eher als Folge der damals üblichen, sehr langen Wartezeiten für einen Ausbildungsplatz zum Facharzt sowie des Wunsches, im Ausland tätig zu sein.

„Alles, was ich beim Militär gelernt habe, nicht nur Medizinisches, hätte ich niemals anderswo gelernt.“

Von der Praxis in die Kaserne

Dank ihrer Sportlichkeit bestand sie die Aufnahmeprüfung mit Leichtigkeit, nach der erfolgten militärischen Basisausbildung rückte Sperandio als eine der ersten Soldatinnen beim Österreichischen Bundesheer 1998 beim Panzeraufklärungsbataillon 3 in Mistelbach ein. Wenige Monate später arbeitete sie bereits als Leiterin der Fachambulanz im Militärspital 2 in Innsbruck. Während dieser Zeit absolvierte sie einige Auslandsaufenthalte und war auch im Inland im Katastrophenschutz tätig. So war sie eine der Helfenden beim Lawinenunglück in Galtür, aber auch in Zypern auf einer UN-Mission sowie mit einem Team bei einer Rettungs- und Bergeaktion in der Türkei, um den Opfern des schweren Erdbebens von 1999 zu helfen. Sperandio hebt dabei die effiziente Vorgehensweise des Heeres in solchen Katastrophenfällen hervor. Ereilt das Heer ein Hilfegesuch, ermöglicht dessen Organisation, dass nichtmedizinisches und medizinisches Personal zusammen mit dem benötigten Equipment binnen kürzester Zeit dort eintreffen, wo Hilfe benötigt wird.

Solche Einsätze sind natürlich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch mehr als fordernd. Wenig Schlaf über Wochen hindurch, körperliche Höchstleistungen und die hautnah miterlebten humanitären Katastrophen fordern ihren Tribut. Die Erlebnisse im Rahmen dieser Einsätze sind aber auch die, die Sperandio am meisten berührt haben. Sie erzählt von ihrem Einsatz in der Türkei: Beim Erdbeben von Gölcük im August 1999 kamen mehr als 18000 Menschen ums Leben, fast 50000 wurden verletzt. Sperandio war mit einem „Austrian Forces Disaster Relief Unit(AFDRU)“-Team vor Ort, um zu retten und zu bergen. Tagelang suchten sie Verschüttete, in einem Fall wussten sie mit Sicherheit, dass noch Menschen unter den Trümmern begraben waren. Nach fünf Tagen gelang es ihr und ihrem Team schlussendlich, ein kleines Mädchen und seinen Bruder zwar dehydriert, aber unverletzt aus dem Trümmerschutt zu bergen. Ein unbeschreibliches Gefühl, wie die Medizinerin berichtet, beim Gedanken an diesen Moment bekomme sie heute noch Gänsehaut.

Im Mai 2000 wechselte die zur Kommandantin aufgestiegene Sperandio ins Militärspital Hörsching, das sie als ärztliche Leiterin fast zehn Jahre begleitete. Dort war sie nicht nur für die Ausbildung hunderter Rettungssanitäter verantwortlich, sondern sie baute auch einen OP aus undwar während dieser Zeit auch bei zahlreichen Auslandseinsätzen tätig. Als Mitglied des „United Nations Disaster Assessment Coordination(UNDAC)“-Teams und des EU-Civil-Protection-Teams konnte sie verschiedenste internationale Ausbildungen absolvieren und sie war bei Missionen nach den schweren Überflutungen in Namibia oder den katastrophalen Erdbeben in Peru im Einsatz.

Danach kam Sperandio nach Wien in die Abteilung Militärmedizin, in der sie als Referentin für die gesamte militärische Luftfahrtmedizin zuständig war. 2007 bekam das Heer die Eurofighter, neue Richtlinien zur Tauglichkeitsuntersuchung der Piloten waren daher notwendig. Ein logischer Schritt, die versierte Ärztin für die Erstellung der neuen Untersuchungsrichtlinien einzusetzen, hatte sie doch im Vorfeld eine fliegermedizinische Ausbildung bei der deutschen Luftwaffe und in weiterer Folge vertiefende Qualifikationen in verschiedenen europäischen Ländern abgeschlossen.

Seit vier Jahren ist sie nun mit der Leitung des Militärischen Gesundheitswesens betraut und im Rahmen der Umstrukturierung des Österreichischen Bundesheeres als Heeressanitätschefin für die reibungslose Überleitung zuständig.

Das tägliche Geschäft

Teamwork bei Auslandseinsätzen

Natürlich hat Covid-19 auch den Alltag der obersten Verantwortlichen des militärmedizinischen Sektors geprägt. Da die medizinischen Strukturen des Bundesheeres einem kleinen Gesundheitssystem im österreichischen Gesundheitssystem entsprechen, waren eigene Pandemierichtlinien und Beschaffungsmaßnahmen nötig, die natürlich auch die Einsatzplanung betroffen haben. Sperandio hebt dabei das ganze Sanitätspersonal hervor, das seit Monaten testet und impft, nicht nur im eigenen Land, es wurde auch ein Sanitätskontingent in die Slowakei zur Hilfe in Pandemiezeiten gesandt.

Die Mitarbeiter in Sperandios Abteilung sind zudem nicht nur für die Gesundheit aller Soldaten, sondern auch für die Gesundheit der Mitarbeiter des gesamten Bundesministeriums für Landesverteidigung zuständig.

Neben den „offensichtlichen“ medizinischen Aufgaben umfasst Sperandios Verantwortlichkeitsbereich aber auch die Ausstattung und Instandhaltung von medizinischem Equipment in Luftfahrzeugen oder Notarztwägen sowie den Veterinärdienst, der nicht nur die Ausbildung und Betreuung der Militärhunde und -pferde beinhaltet, sondern auch die Lebensmittelhygiene und Trinkwasseraufbereitung. Weiters gehören zu ihrer Abteilung die Institute für Arbeitsmedizin, Leistungsmedizinund auch Fliegermedizin, die vieler Richtlinien und Vorschriften bedürfen, die auf Sperandios Ebene erstellt werden und für die sie Verantwortung tragen darf, wie sie erzählt.

Sperandio bei der Erstversorgung eines Verletzten

Eine weitere Aufgabe, die in Sperandios Bereich fällt, ist, die Verbindung mit dem Gesundheitsministerium, der Ärztekammer und anderen Stakeholdern im Gesundheitsbereich zu halten, aber ebenso auf strategischer Ebene die Kooperationen mit Rettungsorganisationen und Krankenanstaltenträgern für Aus-, Fort- und Weiterbildungen zu pflegen.

Auch wenn Soldaten im Ausland medizinische Betreuung benötigen, ist Sperandio dafür verantwortlich, dass diese gemäß österreichischem Standard versorgt werden. Sollte dies vor Ort nicht möglich sein, so werden die Soldaten so schnell es geht dorthin geflogen, wo die bestmögliche medizinische Versorgung gegeben ist – man nennt dies den strategischen Patientenlufttransport, wie Sperandio erörtert. Dafür steht neben den Black-Hawk-Militärhubschraubern auch eine C-130Hercules, ein militä-risches Transportflugzeug, zur Verfü-gung, das mit einemMEDEVAC-Container-System beladen werden kann, mit dem zwei Intensivpatienten oder neun Nichtintensivpatienten transpor-tiert werden können. Mit Stolz erzählt die oberste Heeresmedizinerin von diesem System, hat sie es doch mitentwickelt.

Platz für mehr

Nicht verwunderlich bei diesem ausgeprägten Wissensdurst und Tatendrang ist, dass Sperandio trotz ihrer Leitungsfunktion beim Heer noch immer als Allgemeinmedizinerin in Amstetten praktiziert. Einige Stunden pro Woche steht sie als Ärztin mit Spezialisierung auf TCM ihren Patienten zur Verfügung. Die mentale Behandlung mittels TCM weckte ihr Interesse für die Psychotherapiewissenschaft, 2014 promovierte sie in diesem Fach. In ihrer Dissertation der Psychotherapiewissenschaft beschäftigte sie sich mit den Auswirkungen der Akupunktur auf den Zustand depressiver Personen im Rahmen einer psychosozialen Rehabilitation. Ihr fundiertes Wissen ermöglicht ihr heute, ihre Patienten optimal zu behandeln, indem sie zusammen mit einem Netzwerk an Psychiatern und Psychotherapeuten, aber auch in anderen medizinischen Bereichen (z.B. Onkologie) Tätigen multimodale Therapieoptionen anbietet.

Besonderheiten der Militärmedizin

Sperandio bei einem Hilfseinsatz in Namibia

Auf die laienhaft gestellte Frage, was denn eigentlich die Militärmedizin ausmacht, antwortet Sperandio, dass neben der unglaublichen medizinischen Vielseitigkeit der wesentlichste Unterschied sei, geschützt in eine notfallmedizinische Situation gehen zu können – im Militärjargon „care under fire“ genannt. Im Gegensatz zu den zivilen Organisationen, die großteils freiwillige Mitarbeiter aufweisen, ist das militärische Sanitätswesen ein Berufssanitätsdienst, der eben speziell für eine gefechtsmäßige Verwundetenversorgung ausgebildet ist. Um dies zu verdeutlichen, nennt sie als Beispiel den Anschlag vom 2. November 2020 in Wien. Zum Glück gab es hier nur einen Täter, lange war dies jedoch nicht klar. Wären es mehrere Täter gewesen, die mehrere Menschen verletzt hätten, und hätten diese Menschen geborgen und erstversorgt werden müssen, so wären hier geschützte Rettungsfahrzeuge und Sanitätspersonal im gefechtsmäßigen Einsatz notwendig gewesen. Dafür ist nicht nur eine spezielle Ausrüstung erforderlich, sondern auch ein gelerntes Vorgehen und vor allem ein Zusammenspiel aller involvierten Kräfte vonnöten – eindeutig die Domäne der Militärmedizin.

Berufliche Möglichkeiten für Mediziner beim Heer

Mehrfach erwähnt Sperandio die unglaubliche Bandbreite an Möglichkeiten für interessierte Mediziner. Neben Spezialisten für Traumatologie, Anästhesie und Allgemeinchirurgie ist das Heer auch immer auf der Suche nach Allgemeinmedizinern, die in den militärmedizinischen Dienst treten wollen und als Truppenärzte – quasi die Hausärzte in Kasernen – oder Bataillonsärzte fungieren können. Verschiedene Arbeitsmodelle stehen dafür zur Verfügung, halbtags ohne Uniform wie z.B. in den Stellungsstraßen oder vollverpflichtet im Heeresverbund – alles ist möglich. Neben dem ius practicandi müssen Interessierte, die eine Festanstellung als Offizier des militärmedizinischen Dienstes anstreben, ihren Grundwehrdienst geleistet haben. Weiters erfolgt eine militärmedizinische Ausbildung, deren Basiskurs vier Wochen dauert. Weitere Zusatzqualifikationen kann man im Laufe seines Werdegangs absolvieren und dabei Kenntnisse in recht außergewöhnlichen Bereichen erlangen: Einsatzmedizin, Fliegermedizin, ABC-Abwehr bis hin zur Tropenmedizin oder Mikrobiologie, beim Heer werden eben diese Nischenfächer auchabgedeckt. Voraussetzung für all das ist natürlich eine gewisse körperliche, psychische und geistige Leistungsfähigkeit. Im Rahmen von Sonderverträgen sind zudeminnerhalb von drei Jahren insgesamt sechs Monate bei Auslandseinsätzen zu absolvieren. Da flexible Modelle zur Verfügung stehen und die sechs Monate nicht am Stück im Ausland verbracht werden müssen, lässt sich diese Vorgabe durchaus auch mit einer Familienplanung vereinbaren.

Explizit spricht Sperandio auch das Thema „Frauen beim Bundesheer“ an. Als sie in den Dienst trat, war sie eine Pionierin auf dem Gebiet und nicht nur einmal „die Erste“. Heutzutage sind vor allem im ärztlichen Sektor, speziell auch auf der Führungsebene, fast die Hälfte Frauen. Sperandio und ihren Kameradinnen und Kolleginnen ist es zu verdanken, dass dieser Weg für andere Frauen heute geebnet ist.

Abschließend plädiert Sperandio vor allem bei jungen Medizinern dafür, einen medizinischen Dienst beim Heer in Erwägung zu ziehen, und sei es nur deshalb, es einmal gemacht zu haben. „Alles, was ich beim Militär gelernt habe, nicht nur Medizinisches, hätte ich niemals anderswo gelernt. Ich bin nach wie vor überzeugt – selbst wenn man es nur eine Zeit lang macht –, dass das Gelernte und das Erlebte eine große Bereicherung für das weitere Berufsleben darstellen. Man lernt Führen, Entscheiden, Beurteilen – Dinge, die nicht nur für eine Karriere beim Bundesheer wichtig sind, sondern auf die man auch in einer zivilen Karriere zurückgreifen kann“, so Sperandio.

Mehr Informationen zu den beruflichen Möglichkeiten für Mediziner beim Österreichischen Bundesheer finden Sie unter: https://karriere.bundesheer.at/karriere/arzt.

Bericht:

Dr. Katrin Spiesberger, MSc

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