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Ein „heißes“ Thema

Die klimafreundliche Ordination

Hitze, Hochwasser, Ausbreitung von bisher in unseren Breiten unbekannten Erregern und Infektionskrankheiten, Tornados in Mitteleuropa, eine verlängerte Pollensaison: Die akuten Auswirkungen der klimatisch bedingten Umweltveränderungen gehen an niemandem spurlos vorüber. Dazu kommen auch chronische Effekte wie durch Klimawandel und damit einhergehende Entwicklungen ausgelöste Ängste und posttraumatische Stresssymptome, die schon im jugendlichen Alter zunehmen. Nicht zuletzt sind weiter verstärkte klimawandelbedingte Migrationsströme nach Mitteleuropa zu erwarten. Allesamt Faktoren, welche die Lebensqualität quer durch alle Bevölkerungsgruppen bereits jetzt merklich beeinflussen und die das öffentliche und das klinische Gesundheitswesen vor wachsende Herausforderungen stellen.

Extreme Belastungen für die medizinische Versorgung

„Ärzte sind vom Klimawandel mehrfach betroffen“, betont der Wiener Umweltmediziner Assoc. Prof. Dr. Hans-Peter Hutter. „Spürbar wird das mit der drohenden Überforderung des Gesundheitswesens in Hitzephasen bei gleichzeitiger Beeinträchtigung der eigenen Arbeitsfähigkeit.“ In Zukunft ist laut Experten eine deutliche Zunahme an Hitzetagen zu erwarten, an denen mit Höchsttemperaturen von über 30°C zu rechnen ist.Von 1981 bis 2000 verzeichnete man auf der Hohen Warte in Wien durchschnittlich 14 Hitzetage jährlich, zwischen 2001 und 2020 stieg die Anzahl auf 23: ein Plus von 65%. Hutter: „Bis zum Jahr 2100 werden die Rekordein einem derzeit noch völlig unvorstellbaren Bereich von 60 bis 80 Hitzetagen pro Jahr liegen.“

Gesundheitliche Keulen: vom Leistungsdefizit bis zum Hitzschlag

Insbesondere Ersthelfer wie Sanitäter und Mediziner müssten angesichts der Hitzeextreme extra geschult werden, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden, erklärt der Referent für Umweltmedizin der Österreichischen Ärztekammer,Dr. Heinz Fuchsig. Das beginnt bei der simplen Unterscheidung eines relativ harmlosen Hitzekollapses von einem lebensgefährlichen, behandlungsbedürftigen Hitzschlag. Bei Zweiterem sind die Betroffenen so stark dehydriert, dass die innere Körpertemperatur Stunde um Stunde bis über 40°C steigt und ein tödliches Multiorganversagen droht. Fuchsig: „Diese Patienten müssen unbedingt in ärztliche bzw. klinische Behandlung.“ Wichtig ist daher, hitzekollabierte Personen von vornherein zu selektieren, um das Rettungssystem nicht zu überlasten.

Doch bereits bei gesunden Menschen wird das Herz durch die zunehmende Hitze außerordentlich belastet. In einer Tropennacht (Außentemperaturen über 20°C) muss das Herz dreimal so viel leisten wie in einer normalen Nacht, weil 80% des Bluts für die Kühlung durch die Haut fließen. Beim Gesunden führt das zu Schlafmangel und Leistungsdefiziten, die sich natürlich auch ökonomisch auswirken, wie Arbeitsmediziner Fuchsig anmerkt.

Einfach umzusetzende Tipps für mehr Hitzeresilienz, die man als Primärversorger auch an seine Patienten weitergeben kann: „Trainieren Sie einerseits das Schwitzen, zum Beispiel in der Sauna, und andererseits das Herz mit Alltagsbewegung.“

Neben einer deutlichen Zunahme der Hitzetage wird zukünftig auch mit ansteigend häufigeren und stärkeren Extremwetterereignissen mit Hochwasser und Vermurungen zu rechnen sein, prognostiziert Hutter: „Das führt zu einer schlechten Erreichbarkeit von Akutpatienten und erschwert die ambulante und pflegerische Versorgung alter und chronisch kranker Menschen.“

CO2-Fußabdruck: zu hohe Kosten, zu viele Emissionen

Eine erstmalige detaillierte Analyse des gesamten CO2-Fußabdrucks des österreichischen Gesundheitssektors für das Jahr 2014 zeigt, dass Krankenhausbetriebe, Pflege, ambulante Versorgung und Arzneimittel in Österreich etwa 6,8 Megatonnen CO2 verursacht haben. Damit ist der Konsum von Gesundheitsleistungen für rund 7% der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.1 Krankenhäuser erzeugen fast ein Drittel davon, gefolgt von ambulant konsumierten Arzneimitteln und anderen medizinischen Verbrauchsprodukten und dem niedergelassenen Versorgungsbereich.

Österreich ist international gesehen kein Vorbild: Es liegt sowohl bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf als auch beim CO2-Ausstoß immer noch über dem Wert vergleichbarer Länder (doppelt so viel wie Schweden, 10% mehr als Deutschland) und weit über dem OECD-Durchschnitt.

Was Ordinationen tun können

„Eine klimafitte Ordination ist durchaus möglich“, erklärt Umweltmediziner Fuchsig. Entsprechende Maßnahmen reichen von der klimafreundlichen Praxisausstattung mit möglichst geringer Verwendung von Wegwerfmaterialien über die Verwendung kühlfähiger Wärmepumpen statt Erdgas bis hin zu einschlägigem Informationsmaterial im Wartezimmer und einer Klimasprechstunde bzw. Workshops. Kühlung mit Fernkälte und das generelle Vermeiden einer Überdiagnostik und -medikation bieten sich im Gesundheitswesen ebenso an, so Fuchsig.

Den ökologischen Fußabdruck minimieren

„Gesundheitseinrichtungen genießen hohes Vertrauen und sind wichtige Multiplikatoren in unserer Gesellschaft. Daher ist es wichtig, dass sie ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten und damit zum Vorbild werden“, betont auch Mag. Dr. Ruperta Lichtenecker, Abteilungsleiterin im Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit, Gesundheit Österreich GmbH. Erfahrungswerte zeigen, dass Verantwortliche in Gesundheitseinrichtungen grundsätzlich interessiert und bereit sind, Maßnahmen zum Klimaschutz umzusetzen. „Es fehlt allerdings oftmals die praktische Begleitung durch professionelle Organisationen bei den oft komplexen Projekten, um energie- und ressourceneffiziente und klimaschützende Maßnahmen in der eigenen Einrichtung umzusetzen“, so Lichtenecker.

Als Unterstützung und Motivationskick für aktives Handeln verschickte die Österreichische Ärztekammer im Juni den Praxisleitfaden „Medizin im Klimawandel“ an alle heimischen Mediziner. Konkrete und kostenlose Unterstützung bietet zudem das aktuell anlaufende Pilotprojekt „Beratung klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“, mit dessen Umsetzung das Gesundheitsministerium das Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit beauftragt hat.

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Mag. Dr. Ruperta Lichtenecker, Wien
„Gesundheitseinrichtungen genießen hohes Vertrauen und sind wichtige Multiplikatoren in unserer Gesellschaft. Daher ist es wichtig, dass sie ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten und damit zum Vorbild werden.“

Pilotprojekt „Beratung klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“

In einem ersten Schritt wird mit dem Pilotprojekt ein speziell für Gesundheitseinrichtungen entwickeltes Beratungsangebot für rund 130 Einrichtungen (Kliniken, Primärversorgungseinheiten, Alten- und Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen, Apotheken) in Österreich zur Verfügung stehen. Die Gesundheitseinrichtungen erhalten dabei die erforderliche Expertise und Hilfestellungen für alle Handlungsfelder aus einer Hand, um klimaschützende Maßnahmen in ihrem Bereich so effizient wie möglich umzusetzen.

Nutzen und Vorteile für teilnehmende Gesundheitseinrichtungen:

  • Schaffung einer fundierten Basis für die ganzheitliche Integration von Klimaschutz in der Gesundheitseinrichtung

  • Kosteneinsparungen durch gesteigerte Energie- und Ressourceneffizienz

  • Positionierung als verantwortungsvolle, zukunftsorientierte Gesundheitseinrichtung

  • Steigerung der Resilienz der Einrichtung

  • Steigerung ihres Images als Gesundheitsdienstleister, derseiner Verantwortung gerecht wird, nicht nur die Gesundheit zu steigern, sondern auch die Klimakrise als eine Bedrohung für die Gesundheit wahrzunehmen und dazu beizutragen, diese durch Klimaschutz zu mindern

  • Basis für eine Erhöhung der Versorgungssicherheit der Patienten durch geringeren Energie- und Ressourcenverbrauch und den Einsatz erneuerbarer Energien

  • Schaffung eines zukunftsfähigen, gesunden und klimafreundlichen Umfeldes für Patienten und Mitarbeiter

Die Umsetzung: Maßnahmenplan und Förderung

„In der ersten Phase wird nach Gesprächen und Vor-Ort-Begehungen gemeinsam mit der Gesundheitseinrichtung ein für die jeweilige Einrichtung angepasster Maßnahmenplan erarbeitet sowie Information über spezielle Fördermöglichkeiten mit dem Ziel der Reduktion klimaschädigender Emissionen bereitgestellt“, erläutert Lichtenecker. In der zweiten Phase wird nach acht bis zwölf Monaten die Umsetzung des Maßnahmenpakets evaluiert, um die bestmögliche Unterstützung der Gesundheitseinrichtung sicherzustellen. Lichtenecker: „Die Teilnahme an diesem Pilotprojekt führt zu keinen Kosten bei den teilnehmenden Gesundheitseinrichtungen, ermöglicht diesen aber, Vorreiter auf dem Weg hin zu einem zukunftsfähigen, gesunden und klimafreundlichen Gesundheitssystem zu werden.“

Weitere Informationen zur Teilnahme am Pilotprojekt „Beratung klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“ finden Sie auf www.agenda-gesundheitsfoerderung.at .




Praxis-Tipp:

ÖÄK-Diplomlehrgang Umweltmedizin 2022/23

Der Lehrgang vermittelt vertiefende Kenntnisse in umweltmedizinischen Fragen und wird in Form von Blended Learning abgehalten. Dabei werden Vor-Ort-Veranstaltungen (Vorträge, Diskussionen, praxisorientierte Exkursionen) mit einem E-Learning-Teil optimal ergänzt. Die Reihenfolge der Seminare ist frei wählbar. Ein Quereinstieg ist somit möglich. Das Seminar 1 findet am 7. und 8. Oktober 2022 in Wien statt. Weitere Termine und Information: www.meindfp.at




Expertenleitfaden für Mediziner

„Medizin im Klimawandel – ein Leitfaden für die Praxis“ heißt die kürzlich veröffentlichte Broschüre der Österreichischen Ärztekammer, die an alle österreichischen Ärzte geschickt wurde. Darin erklären Experten auf 96 Seiten, wie sich das Gesundheitswesen, aber auch jede einzelne Ordination, auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten und zu einem geringeren ökologischen Fußabdruck beitragen kann. Medizin im Klimawandel – ein Leitfaden für die Praxis. Wien: Verlagshaus der Ärzte, 2021. ISBN: 978-3-99052-255-4




26. ONGKG-Konferenz

„Nachhaltige Gesundheit – Was jetzt zählt“

Die 26. Österreichische Konferenz Gesundheitsfördernder Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen (ONGKG) findet am 3. und 4.Oktober 2022 als Hybridveranstaltung im Billrothhaus in Wien statt. Unter dem Titel „Nachhaltige Gesundheit – Was jetzt zählt“ widmet sich die Konferenz aktuellen Aspekten und Fragen zu gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sowie zu Umwelt und Klimaschutz. www.ongkg.at/konferenz/2022




Bericht:

Mag. Andrea Fallent

Quelle:

Pressegespräch „Klimawandel und Medizin – Bedrohung und Chancen“ der Österreichischen Ärztekammer am 9. Juni 2022;
Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit, Gesundheit Österreich GmbH

Literatur

1 Weisz U et al.: Carbon emission trends and sus­tainability options in Austrian health care. Resour Conserv Recycl 2020; 160(5): 104862

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