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Medizinische Betreuung bis ans Lebensende

Ernährung und geriatrisches Assessment

Ernährung am Lebensende

Das Thema Ernährung löst im klinischen Alltag häufig Stress und Diskussionen aus. In der Endphase von Erkrankungen wirken sich ernährungstherapeutische Maßnahmen nicht mehr auf den Krankheitsverlauf aus,dennoch kann eine individuelle Optimierung der oralen Ernährungstherapie die Lebensqualität der Patienten positiv beeinflussen. Eine künstliche (parenterale) Ernährung stellt in diesem Fall keine Maßnahme des Komforts dar, sondern ist eine unphysiologische medizinische Intervention. Die ESPEN-Leitlinien1–4 geben das aktuelle medizinische Wissen auf dem Gebiet der Ernährungstherapie wieder. Sie sollen als Informations- und Entscheidungshilfe dienen.

Flüssigkeit am Lebensende

Eine Verlängerung der Lebenserwartung durch künstliche Flüssigkeitszufuhr ist im palliativen Setting nicht erwiesen. Im Vordergrund steht die Mundpflege, da die Flüssigkeitszufuhr das Durstgefühl nicht beeinflusst. Vorteile einer verminderten Flüssigkeitszufuhr am Lebensende können eine reduzierte Sekretbildung, verminderte Ödeme sowie Flüssigkeitseinlagerungen sowie weniger Erbrechen und Schmerzen sein. Es bedarf letztlich eines einfühlsamen Umgangs sowie einer individuellen Entscheidung unter Berücksichtigung des sozialen und kulturellen Hintergrunds der Patienten und ihrer An- und Zugehörigen. Eine doppelblinde, placebokontrollierte randomisierte Studie verglich den Nutzen einer parenteralen Flüssigkeitszufuhr bei 129 onkologischen Patienten im palliativen Setting in zwei Gruppen: Eine Gruppe erhielt 1000ml Kochsalzlösung, die andere Gruppe nur 100ml Kochsalzlösung täglich über vier Stunden in jeweils identen, uneinsichtigen Rucksäcken. Hinsichtlich des Gesamtüberlebens konnte kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen gefunden werden.5

Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit

Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) ist eine konkrete und legale Möglichkeit für Patienten in terminalen Situationen, ihren Sterbeprozess zu beschleunigen. Die Entscheidung für den FVNF wird vom sterbewilligen Menschen getroffen, der auch die Tatherrschaft innehat. Fachpersonen sollen die Patientenautonomie respektieren und mit Information, Beratung und palliativer Betreuung unterstützen. Es ist geltendes Recht, lebensverlängernde medizinische Maßnahmen – auch ohne Angabe von Gründen – abzulehnen.

Eine Missachtung des Patientenwillens bzw. eine Zuwiderhandlung müsste in diesem Fall als eigenmächtige Heilbehandlung und Körperverletzung bewertet werden. Auf der Homepage www.palliativ.at findet sich eine Stellungnahme der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG) zum freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit. Weiters existiert zu diesem Thema ein Positionspapier der OPG in Form einer Publikation.6

Geriatrisches Assessment

Ein vollumfängliches geriatrisches Assessment/„Comprehensive Geriatric Assessment“ (CGA) benötigt einen Zeitaufwand von mindestens 20 Minuten, während einzelne Screeningtests etwa fünf bis zehn Minuten beanspruchen. Im Folgenden sollen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) einige Instrumente vorgestellt werden, die im klinischen Alltag einzeln oder gemeinsam angewendet werden können und nicht viel Zeit benötigen:

  • Charlson-Komorbiditäts-Index (CCI): Der CCI ist ein Scoring-System, das zur ungefähren Einschätzung der Mortalität von Patienten unter Berücksichtigung von 19 Grunderkrankungen dient (siehe Tab.1).

  • Cumulative Illness Rating for geriatric patients (CIRS-G): Das CIRS-G stellt eine Skala zur Bewertung von medizinischen sowie psychiatrischen Einschränkungen dar. Im Detail wird dabei auf Pathologien in den Bereichen Herz, Gefäße, Hämatopoese, Atemwege, Augen/Ohren/Nasen/Larynx, Gastrointestinaltrakt, Leber/Pankreas/Galle, Nieren, Urologie, Genitalien, Muskeln/Skelett/Haut, Neurologie, Endokrinologie/Brust und Psychiatrie eingegangen und Punkte für bestimmte Erkrankungen vergeben, die addiert den Schweregrad der Einschränkungen definieren sollen.

  • Geriatrische Depressionsskala (GDS): Die GDS dient als Hinweis auf eine Altersdepression oder depressive Stimmungslage. Sie umfasst 15 Fragen und eignet sich für gesunde, medizinisch kranke und mild bis moderat kognitiv eingeschränkte ältere Menschen (siehe Tab.2).

  • Instrumentelle Aktivitäten nach Lawton/Brody (IADL): Die IADL-Skala ist ein Assessment zur Erfassung der Alltagskompetenz und erfasst acht zentrale Aktivitäten des täglichen Lebens, nämlich Selbstversorgung, Mobilität, Kognition, Emotion, Ernährung, instrumentelle Aktivitäten, soziale Situation und sonstige Performancetests.

  • Mini Mental State Examination (MMSE): Die MMSE dient zur Abklärung von psychischen Leistungsstörungen sowie zu deren Verlaufsbeobachtung. Erreicht werden können 30 Punkte. Erniedrigte Scores findet man bei Vorliegen einer Demenz oder Depression, wobei sich der MMSE nicht zur Diagnostik
    verschiedener Demenzformen eignet.

  • Mini-Cog: Der Mini-Cog-Test kann in weniger als drei Minuten durchgeführt werden und besteht aus der Erinnerung von drei Items und einem Uhrentest. Er ist einfacher durchzuführen und ebenso informativ wie die MMSE.

  • Mini Nutritional Assessment (MNA):Das MNA ermöglicht eine kurze strukturierte Erfassung der Ernährungssituation und ist in einer ausführlichen und einer verkürzten Form verfügbar.

  • Für onkologische Patienten steht zum geriatrischen Assessment ein Toxizitätskalkulator zur Verfügung, der aus elf Fragen besteht: https://www.evidencio.com/models/show/520.

  • Timed Up and Go Test (TUG): Der TUG misst die Zeit, in der Patienten von einem Stuhl mit Armlehnen aufstehen, drei Meter gehen, sich umdrehen, zum Stuhl zurückkehren und sich hinsetzen. Dieser einfache Test liefert Informationen über die Mobilität, das Gleichgewicht und das Sturzrisiko und ist innerhalb kurzer Zeit abgeschlossen.

Tab. 1: Charlson-Komorbiditäts-Index


Tab. 2: Geriatrische Depressionsskala


Zusammenfassung

Der vorliegende Artikel gibt nur einen kleinen Einblick in die Betreuung am Lebensende. Sich in diesem Bereich weiterzubilden, um den Patienten eine bestmögliche und individuelle Betreuung zukommen zu lassen, ist eine wertvolle und unabdingbare Fertigkeit für alle medizinischen Berufe. Weitere Informationen zu Advance Care Planning und Palliative Care finden Sie unter www.hospiz.at, www.palliativ.at sowie www.patientenanwalt.com.

Quelle:
Vortrag „Medizinische Betreuung bis ans Lebensende“ von Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Eva Katharina Masel, MSc. im Rahmen des ALLGEMEINE+ Herbstquartetts am 12.September 2020 in Wien

Literatur:

  1. Cederholm T et al.: ESPEN guidelines on definitions and terminology of clinical nutrition. Clin Nutr 2017; 36(1): 49-64

  2. Arends J et al.: ESPEN guidelines on nutrition in cancer patients. Clin Nutr 2017; 36(1): 11-48

  3. Volkert D et al.: ESPEN guidelines on nutrition in dementia. Clin Nutr 2015; 34(6): 1052-73

  4. Pironi L et al.: ESPEN guidelines on chronic intestinal failure in adults. Clin Nutr 2016; 35(2): 247-307

  5. Bruera E et al.: Parenteral hydration in patients with advanced cancer: a multicenter, double-blind, placebo-controlled randomized trial. J Clin Oncol 2013; 31(1): 111-8

  6. Feichtner A et al.: Voluntary stopping eating and drinking (VSED) : A position paper of the Austrian Palliative Society. Wien Med Wochenschr 2018; 168(7-8): 168-76

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