
DFP-Literatur
Lungenfunktionsmessung: Grundlagen der Spirometrie
Die Durchführung einer Lungenfunktionsmessung in der Allgemeinpraxis ermöglicht eine frühzeitige Diagnose von häufigen Lungenerkrankungen wie Asthma und COPD. Welche Parameter dabei beachtet werden müssen, welche Fallstricke es gibt und wie die Ergebnisse korrekt interpretiert werden, erläuterte der Wiener Pneumologe Dr. Milos Petrovic anhand von Fallbeispielen im Rahmen des ALLGEMEINE+ Herbstquartetts 2022.
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Der kleine Lungenfunktionstest –auch „Spirometrie" genannt – ist eine einfache, schnelle, nicht invasive und preisgünstige Untersuchung zur Messung von definierten Lungenvolumina und Atemstromstärken. Damit kann der Funktionszustand der Atemwege unkompliziert ermittelt und die möglichst frühzeitige Therapie einer Lungenerkrankung sichergestellt werden. Vor allem bei Asthma und bei COPD ist damit eine schnelle Verdachtsdiagnose möglich. „Die Spirometrie ist für die Diagnose von diesen Lungenkrankheiten so wichtig wie die Blutdruckmessung für die Diagnose einer Hypertonie“, erklärte Dr. Milos Petrovic, Wien, zu Beginn seines Vortrages.
Eine schwedische Studie konnte zeigen, dass der Zeitraum bis zur Diagnose einer COPD wesentlich verkürzt werden kann, wenn nicht nur Lungenfachärzte, sondern auch Allgemeinmediziner Lungenfunktionstests durchführen. In Österreich ist das jedoch nicht überall unkompliziert möglich: „In einigen Bundesländern ist die Lungenfunktionsmessung beim Allgemeinmediziner eine Leistung der Krankenkassen, in Wien nach wie vor nicht“, stellte Dr. Milos Petrovic klar. Ein Manko, das im Sinne der Patientengesundheit hoffentlich rasch behoben wird, so der Lungenfacharzt.
Aussagekraft und Indikationen der Spirometrie
Ein Lungenfunktionstest kann nicht nur den Verdacht auf eine Atemwegsobstruktion bestätigen, wie sie u.a. bei COPD-Patienten vorliegt, sondern in der Folge auch deren teilweise oder vollständige Reversibilität, die dann die Verdachtsdiagnose Asthma untermauert. Weiters kann evaluiert werden, ob eine relevante Verringerung der Lungenvolumina im Sinne einer Restriktion vorliegt.
Indikationen zur Spirometrie sind:
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Dyspnoe
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Husten und/oder Auswurf
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chronischer Nikotinabusus
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Screening (Gesundheitsuntersuchung)
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Verdacht auf Erkrankungen von Atemwegen, Lunge, Herz, Wirbelsäule, Skelettmuskulatur
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Verlaufsbeobachtung und Therapiekontrolle bronchopulmonaler Erkrankungen
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präoperative Diagnostik
Statische und dynamische Messparameter
Mittels Lungenfunktion können die Lungenvolumina und die Atmungsdynamik beurteilt werden. Man unterscheidet dabei statische und dynamische Größen (Abb. 1). Zu den statischen Größen gehören u. a. die Vitalkapazität (VC), das Atemzugsvolumen (TV), das inspiratorische und das exspiratorische Residualvolumen (IRV, ERV), die totale Lungenkapazität (TLC) und das Residualvolumen (RV). Sie sind unabhängig vom zeitlichen Ablauf des Spirogramms. Wichtigste Messgröße ist die Vitalkapazität: Sie bezeichnet die Volumendifferenz, die zwischen maximaler Einatmung und maximaler Ausatmung gemessen werden kann. Die totale Lungenkapazität (TLC) beschreibt das Volumen, das sich nach maximaler Inspiration in der Lunge befindet. Sie setzt sich aus der Vitalkapazität und dem Residualvolumen zusammen. Sie bleibt konstant, es verändern sich nur die beiden Parameter VC und RV. Als Beispiel nannte Petrovic einen COPD-Patienten mit Atemwegsobstruktion, der stark überbläht ist: „In diesem Fall ist das Residualvolumen höher, auf Kosten der Vitalkapazität.“
Die dynamischen Lungenvolumina werden während des Atmens gemessen und sind vom zeitlichen Verlauf wie auch von der Mitarbeit und Motivation des Patienten abhängig. Zu den dynamischen Lungenvolumina zählt u. a. das Einsekundenvolumen (FEV1): Das ist die Luftmenge, die forciert nach maximaler Inspiration in der ersten Sekunde ausgeatmet werden kann. Weiters die forcierte Vitalkapazität (FVC): Das ist die maximale Luftmenge, die forciert nach maximaler Inspiration ausgeatmet werden kann. Und schließlich das Einsekundenvolumen in Prozent der Vitalkapazität (Verhältnis FEV1:VC). Ein Wert unter 70% bestätigt die Diagnose einer Atemwegsobstruktion (Abb. 2). Petrovic: „Wichtig ist, dass man nicht nur auf den FEV1-Wert achtet, um eine Obstruktion zu diagnostizieren.“
Die Fluss-Volumen-Kurve
Die Ergebnisse der Spirometrie können als Fluss-Volumen-Kurve dargestellt werden (Abb.1). Sie ist charakterisiert durch den plötzlichen Anstieg der Atemströmung (Exspiration) bis zum maximalen exspiratorischen Flusswert (Peak-Flow, PEF), danach erfolgt ein nahezu linearer Flussabfall bis zum Erreichen der FVC (forcierte Vitalkapazität). Weitere Werte sind MEF50 (Flusswert bei 50% FVC) und MEF25 (Flusswert bei 25% FVC), sie repräsentieren die kleinen Atemwege. „Sind diese Werte eingeschränkt, und die Lungenfunktion ist sonst normal, spricht man von einer Obstruktion in den kleinen Atemwegen, einer sogenannten Small Airways Disease. Das ist eine Vorstufe der COPD“, so Petrovic.
Vorbereitung und Durchführung der Untersuchung
Für eine exakte Messung muss das Gerät zuerst kalibriert werden. Voraussetzung für die Normwerte sind exakte Daten zu Körpergröße, Körpergewicht, Geschlecht und Alter des Patienten, die vorab überprüft werden. Beengende Kleidung wie Jacke oder Pullover werden vor der Messung abgelegt, die Messung selbst wird ausschließlich im Sitzen durchgeführt. Unverzichtbar sind die Nasenklemme und das korrekt sitzende Mundstück zwischen den Zähnen.
Messung
Die Messung erfolgt dreimal hintereinander, jede Messung besteht aus drei Phasen:
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Man lässt den Patienten ein paarmal ruhig ein- und ausatmen, damit er sich an das Mundstück gewöhnen kann. Nach einigen Malen ruhigen Atmens soll der Patient langsam pressend maximal ausatmen, bis es nicht mehr geht. In der Lunge bleibt dann das Residualvolumen übrig.
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Danach folgt eine zügige und vollständige Inspiration zur Bestimmung der inspiratorischen Vitalkapazität (VC).
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An diese Einatmung schließt sich nach einer möglichst kurzen Pause (< 1 sec) eine forcierte maximale Exspiration an, solange es geht (> 6 sec).
Laut den Leitlinien sollte diese Ausatmung mindestens sechs Sekunden dauern, so Petrovic: „Das klappt allerdings sehr selten, bestenfalls bei COPD-Patienten, die sehr überbläht sind.“ Laut dem Lungenfacharzt reichen vier Sekunden, um ein verwertbares Messergebnis zu erhalten.
Fehlerquellen und Fehlerzeichen
Anhand der Kurve ist bereits gut zu erkennen, ob die Messung richtig durchgeführt wurde.
Zu den häufigsten Fehlerquellen zählen:
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ungenügende Inspiration (parallel verkleinerte Kurve)
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Luftleckage (mangelnder Lippenschluss um das Mundstück)
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zu langsamer Start der Exspiration (kein steiler Anstieg der Kurve)
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vorzeitiges Ende der Exspiration (keine geschlossene Kurve bzw. Spitze fehlt)
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Husten (Zacken in der Kurve)
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ungünstige Körperhaltung (z. B. vorgebeugt)
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falsche Patientendaten (ergeben falsche Sollwerte)
Reproduzierbarkeits- und Akzeptanzkriterien
Um die Reproduzierbarkeit – welche auch die Qualität der Mitarbeit widerspiegelt – bestimmen zu können, müssen mindestens drei Versuche durchgeführt werden.Der maximale exspiratorische Spitzenfluss (PEF) soll innerhalb von 120ms erreicht werden (steiler Anstieg). Artefakte (z.B. durch Husten, Leckagen, vorzeitige Beendigung) sollten vermieden werden.
Die drei Kurven der Messungen sollten optimalerweise nahezu deckungsgleich sein (= Zeichen der Reproduzierbarkeit). Dabei dürfen sich die Ergebnisse des besten und des zweitbesten Versuches für FEV1 und FVC um nicht mehr als 5% unterscheiden, die Differenz zwischen dem größten und dem zweitgrößten Wert des Peak-Flow um nicht mehr als 10%. „Treffen diese Kriterien zu, dann kann man sagen, alle drei Versuche waren in Ordnung, und man analysiert den besten Versuch“, erklärte Petrovic. Größere Differenzen sprechen für eine mangelnde Compliance des Patienten.
Deutung der Messgrößen
Anhand der Messgrößen können folgende Fragen beurteilt werden: Liegt eine Obstruktion der Atemwege vor (Volumen/Zeiteinheit) und/oder liegt eine Restriktion des Lungenparenchyms vor (Volumen, Vitalkapazität)?
Obstruktive Ventilationsstörung
Ein FEV1/VC-Wert von < 70% weist auf eine Obstruktion hin (Abb. 2). In der klinischen Beurteilung ergibt sich der spirometrische Schweregrad der obstruktiven Ventilationsstörung aus der Einschränkung der FEV1 (ausgedrückt in % des Sollwerts). Diese Prozentwerte ergeben auch die vierstufige Graduierung der Obstruktion in „leicht“ (FEV1 >80%), „mittelschwer“ (50–80%), „schwer“ (30–50%) und „sehr schwer“ (<30%).
Zu den Differenzialdiagnosen der obstruktiven Ventilationsstörung zählen:
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Asthma bronchiale
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COPD
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Bronchiektasien
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zystische Fibrose (CF)
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Stenose im Bereich der großen Atemwege (z.B. Tumor)
Der Schweregrad der Messwerteinschränkung ist repräsentativ für die Obstruktion, muss aber nicht unbedingt mit dem klinischen Schweregrad der Erkrankungen übereinstimmen. Die Spirometriedaten sind nur ein Teil der Surrogatparameter zur Beurteilung des klinischen Schweregrads (von Asthma oder COPD).
Für den erfahrenen Mediziner ist die obstruktive Ventilationsstörung eine „Blickdiagnose“ anhand der Fluss-Volumen-Kurve (Abb. 3A): „Je höhergradig die Obstruktion ist, desto mehr kommt es zu einer Innenkrümmung der Kurve bei der Ausatmung.“ Die Innenkrümmung spricht für einen erniedrigten PEF-Wert, der FVC kann auch erniedrigt sein. Eine Knickbildung ist das eindeutige Zeichen für ein Emphysem, z.B. bei hochgradiger COPD: Die Werte von FVC und PEF sind dabei deutlich erniedrigt.
Bronchodilatationstest: Asthma oder COPD?
Wird eine obstruktive Ventilationsstörung vermutet, sollte in weiterer Folge ein Bronchodilatationstest durchgeführt werden. Damit ist eine Unterscheidung zwischen Asthma bronchiale und COPD möglich. Dazu wird die Spirometrie vor und nach Gabe eines kurz wirksamen β-2-Sympathomimetikums oder Anticholinergikums durchgeführt.
Der Broncholysetest ist positiv bei einem Anstieg des FEV1 um mehr als 200ml bzw. um mindestens 12% gegenüber dem Ausgangswert (Abb. 4). In diesem Fall liegt eine Reversibilität bzw. ein Hinweis auf Asthma vor. Ist die Lungenfunktion weiterhin eingeschränkt, ist die Reversibilität partiell. Ist die Lungenfunktion danach altersentsprechend, handelt es sich um eine komplette Reversibilität. Je höher die Reversibilität ausfällt, desto wahrscheinlicher ist die Diagnose von Asthma, vor allem bei entsprechender Klinik.
Restriktive Ventilationsstörung
Eine restriktive Ventilationsstörung ist durch eine Verringerung der Lungenvolumina charakterisiert, es liegt eine Behinderung der normalen Lungenausdehnung vor (Abb.3B). Diese zeigt sich in der Verminderung der Vitalkapazität auf unter 80% und durch einen FEV1/VC-Wert über 70%. Basierend auf dem Abfall der VC in % wird die restriktive Ventilationsstörung von „leichtgradig“ (Grad I) bis „sehr schwer“ eingeteilt (GradV).
Differenzialdiagnosen der restriktiven Ventilationsstörung sind:
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Lungenfibrose
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Pneumonie, Pneumonitis
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Kyphoskoliose
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Pleuraerguss, -schwarte
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Zwerchfellparese
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Pneumonektomie
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Adipositas
Anhand der Fluss-Volumen-Kurve zeigt sich die restriktive Ventilationsstörung darin, dass die Form weitgehend erhalten bleibt, aber FVC und PEF erniedrigt sind (Abb.3): Die Kurve als ganze wird also „kleiner“. Eine Abflachung der Einatmungskurve spricht für eine extrathorakale Stenose, z.B. eine Stimmbandlähmung. Ein Plateau in der Ausatmungskurve ist ein Zeichen für eine intrathorakale Einengung, z.B. eine Tracheomalazie.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Strukturiertes Befunden einer Spirometrie
Anhand der Kurven wird zuerst das „akzeptable Manöver“ analysiert. Wurde die Lungenfunktionsmessung korrekt durchgeführt, wird anhand der Sollwerte überprüft, ob die Ergebnisse altersentsprechend sind oder eine obstruktive oder eine restriktive Ventilationsstörung vorliegt.
Interpretation der Ergebnisse
Die Interpretation der Ergebnisse beginnt mit dem FEV1/VC-Wert (Abb. 2). Ist der Wert unter 70%, liegt eine Obstruktion vor. Um diese Obstruktion zu graduieren, zieht man den FEV1-Wert (in % vom Sollwert) heran. Mittels Bronchodilatationstest kann eruiert werden, ob eine Reversibilität vorliegt oder nicht. Besteht keine Reversibilität, handelt es sich um eine irreversible Obstruktion (Differenzialdiagnose COPD).
Liegt der FEV1/VC-Wert über 70%, kann eine Obstruktion ausgeschlossen werden. Ist die VC >80%, ist die Lungenfunktion altersentsprechend. Ist die VC erniedrigt (<80%), liegt eine Restriktion vor, und man betrachtet den FVC-%-Sollwert. Ist der FEV1/VC-Wert erniedrigt UND ist die FVC stark erniedrigt, liegt eine Kombination von Restriktion und Obstruktion vor. Beides sind Indikationen für einen großen Lungenfunktionstest (Bodyplethysmografie).
Praxisbezogene Fallbeispiele zum Nachsehen
Abschließend präsentierte Petrovic eine Reihe von Fallbeispielen aus der Praxis, die Sie in der Aufzeichnung des Herbstquartett-Vortrags auf der ALLGEMEINE+ Website jederzeit nachsehen können. Eine Auswahl davon finden Sie nachfolgend.
Quelle:
„Spirometrie für Allgemeinmediziner“, Vortrag von Dr. Milos Petrovic, Wien, im Rahmen des ALLGEMEINE+ Herbstquartetts in Wien am 22. Oktober 2022