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Facharzt für Allgemeinmedizin

Pro und Contra

PRO

Die Allgemein- und Familienmedizin ist eine akademische und wissenschaftliche Disziplin mit eigenen Lehrinhalten, eigener Forschung, eigener Nachweisbasis und einer eigenständigen klinischen Tätigkeit; als klinisches Spezialgebiet ist sie auf die Primärversorgung ausgerichtet (WONCA: European Definition 2011). Die Anerkennung als Fach ist in fast allen industrialisierten Ländern eine Selbstverständlichkeit. Diese Anerkennung braucht es auch bei uns.

Denn die Evidenz zeigt: Eine starke Primärversorgung führt zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung zu geringen Kosten (Starfield et al. 2005). Die Etablierung des Faches bietet auf lange Sicht die Chance, in Österreich die Versorgungsqualität und die Gesundheitsförderung innerhalb der Bevölkerung (weiter) zu verbessern. Dafür müssen die grundsätzlichen Prinzipien der hausärztlichen Medizin (engl.: „first contact“, „comprehensive care“, „continuous care“, „coordinated care“, „complexity of care“) und ihrer Aufgaben – […] Vorsorge, Erkennung und Behandlung von Gesundheitsstörungen bzw. Krankheiten jeder Art (gesundheit.gv.at) – anerkannt werden und dem Fach muss die Chance gegeben werden, seine spezifischen Fachinhalte der hausärztlichen Primärversorgung auch gezielt zu lehren (was nicht zwingend eine längere Ausbildungsdauer bedeutet!) und zu erfüllen. Dafür hat die Ärztekammer mit Sorge zu tragen. Es ist im Sinne der Patient*innensicherheit und Versorgungsqualität, dass die Ausbildung auf den Versorgungsauftrag vorbereitet. Ist dafür eine Definition desselben notwendig, so sei es – solange diese gemeinsam mit der Expertise der hausärztlichen Primärversorgenden gefunden wird, um nicht wichtige Aspekte der Fachdefinition und der Patient*innenversorgung „zu verlieren“.

Betrachtet man die Ärzte-Ausbildungsordnung 2015 (kurz ÄAO 2015), darf auf die Begriffsklärung hingewiesen werden: §3.10 „Turnusärzte“ sind jene Ärztinnen/Ärzte, die in der Ausbildung zur Ärztin/zum Arzt für Allgemeinmedizin ODER zur Fachärztin/zum Facharzt stehen.

Dieselbe Formulierung ist bis 1998 zu finden – dennoch erfolgt seit Jahrzehnten die situative Unterscheidung zwischen „Assistenzärzt*innen“, potenziellen Assistenzärzt*innen (= unentschlossene Turnusärzt*innen, die noch „rekrutierbar“ oder in Warteposition sind) sowie „echten“ Turnusärzt*innen“ die „eh nicht ins Fach wollen“. Damit geht automatisch eine Ungleichstellung in der Aufgabenverteilung und der Ausbildungsqualität einher – in einigen Fällen gekoppelt an eine subjektiv gefühlte Geringschätzung der eigenen Person und Fähigkeiten. Zu letztgenannter Gruppe zählen aber all jene, die in ihrer Zielvorstellung das Ideal in sich tragen, im solidarischen kassenärztlichen System die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung tagtäglich medizinisch zu versorgen! Die Wahrnehmung dieser Kolleg*innen in ihrer zukünftigen Rolle und vielleicht auch die Anerkennung dieser Rolle in unserem Gesundheitssystem gehen hier jedoch kläglich unter.

Selbstverständlich wird das alleinige „Umtaufen“ in Fachärzt*innen für Allgemein- und Familienmedizin wenig Konsequenz haben, wenn sich in dieser sprachlichen Kultur und in der Gleichstellung zu anderen Fächern nicht wahrnehmbar etwas ändert. Wichtig ist jedoch, in dieser ganzen Diskussion auch auf die junge Generation potenzieller Allgemeinmediziner*innen zu hören, denn ihre Vorstellung von Wertschätzung und Anerkennung beeinflusst ihre Berufswahl. Die Fachanerkennung wird von ihnen hierbei als wichtig für sich selbst und die Weiterentwicklung des Faches gesehen (Brodnig et al. 2020) – diese vom inhaltlichen Standpunkt korrekte Berufsbezeichnung darf man ihnen also nicht vorenthalten. Die Etablierung des Faches und damit der Notwendigkeit des „Nachschärfens“ kann ein erster Schritt der Weiterentwicklung sein – manchmal braucht es ein „neues Mascherl“, um tatsächlich Änderungen herbeizurufen, die in weiterer Folge unbedingt auch stattfinden müssen. Ohne dieses „Mascherl“ hat sich in den letzten Jahren ja offensichtlich zu wenig getan.


Dr. Maria Wendler


CONTRA

Eine der Forderungen der Ärzteschaft, die am einfachsten und wohl auch am billigsten durchzusetzen ist: Es müssen lediglich Bestimmungen im Ärztegesetz und in den Ausbildungsordnungen geändert werden, was vorzubereiten für die Beamtenschaft im Gesundheitsministerium kein Problem darstellen dürfte.

Da die Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin eine der Hauptforderungen der Ärzteschaft ist, besteht die Gefahr, dass die Politik diese einfach umzusetzende Maßnahme (die ja auch im Regierungsübereinkommen verankert ist) trifft, dafür aber andere, wohl wichtigere Maßnahmen unter Hinweis auf die angespannte Budget- und Wirtschaftssituation hintanstellt und die Ärzteschaft mit dem Argument zu beruhigen versucht, die Hauptforderung „Facharzt für Allgemeinmedizin“ sei ohnehin erfüllt worden.

Die öffentliche Wertschätzung der Allgemeinmediziner wird durch eine geänderte Berufsbezeichnung nicht erhöht. Die Erhöhung der Wertschätzung würde vielmehr durch Erhöhung der Honorare, Verringerung der Bürokratie, die Schaffung zeitgemäßer Zusammenarbeitsformen, die Einhaltung angemessener Arbeitszeiten etc. erfolgen, nicht aber durch eine rein kosmetische Änderung der Berufsbezeichnung.

Erst künftige Generationen an Ärzten wären Fachärzte für Allgemeinmedizin; die heutige Generation wären weiterhin nur „einfache“ Ärzte für Allgemeinmedizin und würden keinerlei Erhöhung der Wertschätzung erfahren.

Derzeit ist ein Arzt für Allgemeinmedizin in seinem Leistungsspektrum nicht beschränkt. Er kann – anders als Fachärzte – sämtliche medizinischen Leistungen erbringen, auch solche, die anderen Fächern zuzuordnen sind. Mit der Einführung des „Facharztes für Allgemeinmedizin“ könnte auch eine wie in den übrigen Fächern übliche Tätigkeitsbeschränkung auf typischerweise von Allgemeinmedizinern zu erbringenden Behandlungen einhergehen (vielleicht auch erst zukünftig). Die Einführung des Titels „Facharzt für Allgemeinmedizin“ könnte daher mit einer Reduktion des Tätigkeitsfeldes der Allgemeinmediziner einhergehen. Dies betrifft nicht nur Wahlärzte für Allgemeinmedizin, sondern auch Kassenärzte: Sogar die entsprechenden Honorarordnungen wären an ein derart eingeschränktes Tätigkeitsfeld anzupassen, Umsatzeinbußen könnten die Folge sein. Eine Erweiterung des Leistungskataloges für Kassenallgemeinmediziner zulasten anderer Fachärzte, also eine Aufweichung der Fachgruppenbeschränkungen zugunsten von sodann „Fachärzten für Allgemeinmedizin“ werden die Fachärzte zu verhindern wissen.

Zudem soll die Ausbildung des Facharztes für Allgemeinmedizin an andere Facharztgruppen angepasst und von vier auf sechs Jahre ausgedehnt werden. Durch die anstehende Pensionierungswelle und den Umstand, dass für zwei Jahre keine Allgemeinmediziner von den Universitäten in die Praxis kommen, droht der Kassenärztemangel im Allgemeinmedizinbereich auch weiter zu steigen.

Fazit: Meines Erachtens gilt es viel wichtigere Maßnahmen umzusetzen!


Mag. Markus Lechner

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