Medizinische Betreuung bis ans Lebensende

Symptomkontrolle & Lebensqualität

Die Herausforderung für Ärzte, den richtigen Zeitpunkt für den Beginn einer palliativen Betreuung zu erkennen, liegt nicht selten darin, mit dem Lebensende eines Patienten konfrontiert zu sein. In erster Linie steht bei einer solchen Therapie dieSymptomlinderung bzw. der Erhalt oder die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund, erklärt
OÄ Priv.-Doz. Dr. Gudrun Kreye.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) deckt die Palliativmedizin neben der Linderung von Schmerzen und belastenden Symptomen viele weitere wichtige Bereiche ab.1 Fälschlicherweise wird oft angenommen, durch palliative Therapien eine Beschleunigung oder Verzögerung des Todes herbeiführen zu können – das Gegenteil ist hier jedoch die Absicht. Eine palliative Betreuung zielt auf einen maximalen Erhalt der Lebensqualität zu jedem Zeitpunkt des Erkrankungsverlaufes ab.

Das Sterben sollte als normaler Prozess des Lebens angesehen werden. Deswegen muss auch in dieser Phase auf persönliche Wünsche des Patienten, egal, ob psychologischer, sozialer oder auch spiritueller Art, eingegangen werden.1 Mit der Unterstützung durch das Palliativteam wird dem Patienten so die Möglichkeit geboten, sein Leben bis zum Tod so aktiv wie möglich zu gestalten. Es gilt, sowohl den Bedürfnissen von Familie und Freunden als auch des Patienten gerecht zu werden.1

Lebensqualität zu fördern, kann den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen.1,2 Gleichzeitig wird den An- und Zugehörigen dabei geholfen, die Linderung des Leidensder ihnen nahestehenden Person trotz schwerer Krankheit mitzuerleben. Die anschließende Trauerphase kann damit erheblich erleichtert werden.

Neben der psychosozialen Komponente steht die Symptomkontrolle an oberster Stelle einer Palliation. Frühzeitig umfangreichere Untersuchungen mit einzuschließen, kann verhindern, dass im Krankheitsverlauf belastende Komplikationen auftreten. Dem Palliativteam wird dadurch die Möglichkeit geboten, den Patienten besser zu verstehen und zu behandeln. Palliative Betreuung ist demnach nicht nur am Lebensende indiziert, sondern manchmal auch bei Patienten, denen noch Therapieoptionen offenstehen.2

Palliative Erkrankungen

Die Beantwortung der Frage, welche Erkrankungen in ein palliatives Setting einzuordnen sind, kann die Entscheidung für oder gegen die Indikation einer solchen Therapie oft erleichtern. Dazu zählen in jedem Fall Tumorerkrankungen sowie neurologische, pneumologische und kardiale Erkrankungen. Aber auch andere Erkrankungen können nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen neben der Schmerzlinderung die Kontrolle der Symptome Atemnot, Angst und Depression, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Durchfall, Krampfanfälle, Blutungen u.v.m.. Von einem kurativen Therapieziel muss in den meisten Fällen jedoch abgesehen werden.1,2

Die palliative Sedierung

Laut European Association for Palliative Care (EAPC) bezeichnet die palliative Sedierung den überwachten Einsatz von Medikamenten mit dem Ziel einer verminderten oder aufgehobenen Bewusstseinslage, um die Symptomlast in anderweitig therapierefraktären Situationen in einer für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter ethisch akzeptablen Weise zu reduzieren.3 Diese mit medikamentösen Mitteln herbeigeführte Bewusstseinsdämpfung am Lebensende wird bei therapierefraktären Symptomenzunehmend angewandt. Im Rahmen einer retrospektiven Untersuchung mit mehr als 2400 österreichischen Patienten wurde die Prävalenz der palliativen Sedierung am Lebensende mit 21% ermittelt.4

Eine Verminderung der Lebensqualität aufgrund von therapierefraktären Symptomen, die die Patienten als unerträgliches Leid erleben, rechtzeitig zu erkennen und Vorkehrungen zur Symptomkontrolle zu treffen, stellt die Herausforderung im klinischen Alltag dar. Dazu muss die Situation des Patienten durch Arzt und Palliativteam sorgfältig eingeschätzt werden. Gemeinsam können sie die Indikation für eine palliative Sedierung stellen, wobei die Patienten und deren An- und Zugehörige nach Möglichkeit in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden sollten.

Für den deutschsprachigen Raum wurde die EAPC-Leitlinie 2010 von Alt-Epping et al. übersetzt,5 eine adaptierte Version stellte die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) 2016 zur Verfügung.6 Die darin empfohlenenMedikamente, die zur palliativen Sedierungstherapie verwendet werden, sind u.a. Benzodiazepine, wie das am meisten verwendete Midazolam.6Auch Lorazepam, Neuroleptika wie Haloperidol, Levomepromazin oder Olanzapin, aber auch Narkosemittel wie Propofol oder der Alpha-2-Adrenorezeptor-Agonist Dexmedetomidin können in Einzelfällen angewendet werden. Opioide sind nicht zur palliativen Sedierung geeignet, da bei falscher Anwendung deren Gabe zu neurologischer Exzitation, Unruhe und Myoklonien führen kann. Relevante Nebenwirkungen wie z.B. Atemdepression können zum Verfehlen des Therapieziels führen.6

SOAP-Konzept

Um die Vorgehensweise bei einer palliativen Sedierung zu strukturieren, kann, neben einer entsprechenden Dokumentation auf einem eigens dafür vorgesehenen Formular, auf dem auch die Indikation für die Sedierung angegeben wird, das SOAP-Konzept hilfreich sein, das bereits 1968 vom amerikanischen Mediziner Lawrence L. Weed entwickelt wurde (Tab.1).7

Durch dieses Raster kann bei der dia- gnostischen Erfassung und Übergabe des Patienten eine problemorientierte Krankenakte geschaffen werden. Das hilft dabei, das Therapieziel bei einer palliativen Behandlung nicht aus den Augen zu verlieren.

Patientenfall 1 – palliative Sedierung

Beispielsweise berichtete OÄ Kreye von einer 39-jährigen Patientin mit endometrioidem Adenokarzinom Grad 2 bzw. 3, ossären Metastasen, Vaginalmetastasen, Metastasen im Sternum mit Weichteilanteil und einer Lungenembolie. Nach einem halben Jahr Chemotherapie wurde sie stationär auf einer Palliativstation aufgenommen und das SOAP-Konzept angewandt. Als man in der „ersten Runde“ bei der gut schlafenden Patientin (subjektiv) im CT die massive Progression sowie neue Osteolysen im Oberarm sah (objektiv), folgte ein langes Gespräch mit der Patientin über die schlechte Gesamtsituation sowie die Möglichkeit einer palliativen Sedierung, obwohl diese zu dem Zeitpunkt noch nicht indiziert war (Assessment). Als Plan strebte man die Optimierung der Schmerzkontrolle, eine antiresorptive Therapie, sowie eine mögliche Strahlentherapie aufgrund der Osteolyse an. Fünf Tage später war die Patientin subjektiv massiv agitiert und litt unter erheblichen Schmerzen, auch objektiv wurde sie als ängstlich, stark agitiert und schmerzgeplagt eingestuft. Wie beim Assessment einige Tage zuvor besprochen, wurde mit der palliativen Sedierung begonnen (Titration mit Midazolam und Propofolperfusor, der zum Einsatz kommt, wenn die Behandlung mit Midazolam nicht ausreichende Wirksamkeit zeigt). Die Patientin war unter dieser Kombination gut symptomkontrolliert, schlief tief, war aber jederzeit weckbar. Zehn Tage später verstarb sie.

Patientenfall 2 – intermittierende Sedierung

Anhand eines weiteren Patientenbeispiels erörterte OÄ Kreye auch die intermittierende Sedierung:
Ein 38-jähriger Patient mit Ewing-Sarkom (Stadium IV) im Oberschenkel und Lungenmetastasen erhielt innerhalb von vier Monaten sechs Zyklen Chemotherapie und später im Jahr nochmals eine Thermo-Chemotherapie. Danach wurde die Primärtumorregion am Oberschenkel palliativ perkutan bestrahlt und der Patient weiter medikamentös behandelt. Bei einem Hausbesuch präsentierte der Patient seine beachtliche Patientenverfügung und äußerte den Wunsch, im Falle therapierefraktärer Symptome eine palliative Sedierung zu Hause zu erhalten. Das Palliativteam informierte ihn darüber, dass eine Sedierung zu Hause in seinem Fall nicht möglich sein würde, da eine Titration eine komplexe medizinische Behandlung darstellt, die einer entsprechenden Beobachtung der Symptomkontrolle bedarf. Einen Monat später wurde er aufgrund nicht tolerierbarer Schmerzen stationär aufgenommen – mit der Bitte um eine palliative Sedierung. Unter dem Beisein von mehreren Zeugen stellte er klar, dass er schlafen möchte, da er die Schmerzen sonst nicht mehr aushält. Im Laufe dieses Gesprächs wurde vereinbart, dass der Patient nach zwei Stunden langsam geweckt würde und das weitere Vorgehen anschließend neu evaluiert würde. Nach dem Aufwachen entschied er, dass er die nächsten Tage weiterhin schlafen möchte mit 1–2 Wachphasen pro Tag. Als zwei Tage später die Sedierung reduziert wurde, erlitt der Patient eine massive Schmerzattackeund wünschte eine sofortige Fortsetzung der Sedierung. Nach neuerlichem Abwägen der Optionen zur Schmerzlinderung wurde in Abstimmung mit der Mutter (Vorsorge-Vollmacht) eine kontinuierliche Sedierung beschlossen. Der Patient imponierte unter der Sedierung gut symptomkontrolliert und verstarb einige Tage später im Beisein seiner Mutter.

Der richtige Zeitpunkt8,9

Die Vorteile einer palliativen Betreuung spürt der Patient vor allem durch die Verbesserung seiner Lebensqualität. Ängste und Depressionen können – auch bei Angehörigen – vermindert werden.Auch ist bei entsprechend guter Symptomkontrolle eine Überlebenszeitverlängerung möglich, wenngleich der Tod weder hinausgezögert noch beschleunigt wird. Keine Studie konnte bisher Nachteile einer palliativen Betreuung aufzeigen, zumal sie auch einen kostensparenden Faktor mit sich bringt. Mehr Chemotherapie in den letzten 14 Tagen eines Patienten einzusetzen, vermindert nicht nur die Lebensqualität durch Nebenwirkungsprofile am Lebensende, sondern bringt gleichzeitig auch einen ökonomischen Faktor mit ins Spiel. Der Grund für eine inadäquate Therapie ist oft eine zu späte Zuweisung zu einer palliativen Betreuung. Dadurch wird es verabsäumt, sowohl mit Patienten als auch An- und Zugehörigen Gespräche über das Lebensende zu führen, wodurch es in der anschließenden Trauerphase verstärkt zu Depressionen kommen kann. Daher ist der richtige Zeitpunkt für eine palliative Betreuung sowohl für die psychosoziale als auch für die symptomatische Komponente wichtig.

Fazit

Therapierefraktäre Symptome bzw. Schmerzen, welche im häuslichen Umfeld nicht mehr führbar sind, lösen bei den Patienten oft den Wunsch nach einer palliativen Sedierung aus. Fakt ist: Die Entscheidung für eine solche Therapie benötigt immer eine klare Indikation. Die palliative Sedierung stellt die Ultima Ratio der Symptomkontrolle dar und benötigt eine sorgfältige Indikationsstellung. Eine gemeinsame Entscheidungsfindung zeichnet ein gutes Palliativteam aus. Je früher mit den Patienten, die an einer unheilbaren Erkrankung leiden, über das Konzept der palliativen Sedierung am Lebensende gesprochen wird, um so weniger Angst haben sie dann möglicherweise vor unnötigen Qualen am Lebensende.

Im ärztlichen Alltag wäre zukünftig eine vermehrte Aufklärung über palliative Konzepte notwendig. Auch die Anpassung verbesserter Ausbildungskonzepte kann mehr notwendige Ressourcen für eine palliative Betreuung schaffen.

Bericht:
Vera Weininger, Dr. Katrin Spiesberger, MSc

Quelle:
Präsentation „Medizinische Betreuung bis ans Lebensende“ von OÄ Priv.-Doz. Dr. Gudrun Kreye

Literatur:

  1. Sepulveda C et al.: Palliative care: the World Health Organizations global perspective. J Pain Symptom Manage 2002; 24(2): 91-6

  2. Rangachari D, Smith TJ: Integrating palliative care in oncology. Cancer J 2013; 19 (5): 373-8

  3. Cherny NI, Radbruch L; Board of the European Association for Palliative Care: European Association for Palliative Care (EAPC) recommended framework for the use of sedation in palliative care. Palliat Med 2009; 23(7): 581-93

  4. Schur S et al.: Sedation at the end of life - a nationwide study in palliative care units in Austria. BMC Palliat Care 2016; 15: 50

  5. Alt-Epping B et al.: Sedierung in der Palliativmedizin – Leitlinie für den Einsatz sedierender Maßnahmen in der Palliativversorgung. Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(3): 112-22

  6. Weixler D et al.: Leitlinie zur Palliativen Sedierungstherapie. Wien Med Wochenschr 2016; doi: 10.1007/s10354-016-0533-3

  7. Weed LL: Medical records, medical education, and patient care. Year Book Medical Publisher 1969; Ubc 35E

  8. Temel JS et al.: Early palliative care for patients with metastatic non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2010; 363: 733-42

  9. Wright AA et al.: Place of death: correlations with quality of life of patients with cancer and predictors of bereaved caregivers mental health. J Clin Oncol 2010; 28(29): 4457-64

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