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Auswirkungen der Coronapandemie

Verhaltensvarianten im Kindes- und Jugendalter

Einleitung

Am Beispiel der Zeit während der Coronapandemie werden die Auswirkungen von Umgebungseinflüssen auf die kindliche Psyche und auf die ihres unmittelbaren Umfelds exemplarisch dargestellt, wobei diese Arbeit unvollständig bleiben muss und nur einen Beitrag darstellt, um diese rätselhafte Zeit mit all den plötzlichen und unvorhergesehenen Änderungen zu verstehen.

Die Folgen der Pandemie

Kontaktbeschränkungen und der Ausfall von Schule, Sportveranstaltungen und Treffen von Jugendgruppen haben tief in die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen eingegriffen.

Bei bestehenden Krankheiten wurden Arztbesuche und laufende Therapien unterbrochen. Angst und Ungewissheit, aber auch Gemeinschaftssinn und achtsamer Umgang prägten diese Anfangsphase, welche auch von Kindern und Jugendlichen aktiv mitgetragen wurde. Später kam es zur Polarisierung; Bruchlinien zwischen Extrempositionen verliefen nicht selten innerhalb der Familieoder zwischen der Familie und den anderen.

Fallbeispiel 1

Ein 12-jähriges Mädchen hatte einen gut strukturierten Tagesablauf, der neben der Schule Sporttraining und Musikunterricht umfasste. Mit Beginn des ersten Lockdowns fielen all diese Termine plötzlich aus. Das Mädchen entwickelte einen ausgefeilten Ernährungsplan und nahm kontinuierlich an Gewicht ab. Sie verlor all ihre Lebensfreude.

Zur Symptomentstehung

Ein Kind ist mit bestimmten genetisch festgelegten Temperamentsfaktoren, mit affektiver Reagibilität und mit kognitiven und körperlichen Basisfaktoren ausgestattet. Es ist unterschiedlichen Entwicklungsfaktoren ausgesetzt, die es wiederum aktiv mitgestaltet. Diese wirken auf die genetische Grundausstattung ein. Das unmittelbare Umfeld zeigt ein variables Maß anFeinfühligkeit, kindliche Erfahrungsräume zu gestalten. Akute Traumen und anhaltende Traumatisierung beeinflussen den weiteren Verlauf.

Aus diesem Blickwinkel haben Symptome eine Anpassungsfunktion, sind kontextabhängig und können so auch als eine Ressource betrachtet werden. Symptome sind eine kreative Leistung, um die gegebene Situation bestmöglich zu überstehen. Daher ist nicht jedes Symptom behandlungsbedürftig, sondern nur jene, die den Handlungsspielraum einengen und die Entscheidungsfähigkeit einschränken. Es ist also nicht das Abweichen von der Norm der entscheidende Faktor. Bei manchen Symptomen gibt es allerdings einen Gewöhnungseffekt, sie werden auch dann eingesetzt, wenn die auslösende Situation nicht mehr aktuell ist, wie z.B. selbstverletzendes Verhalten oder Dissoziation.

Vulnerabilität ist die individuelle Bereitschaft, unter Risikobedingungen einen negativen Entwicklungsverlauf zu nehmen.

Fallbeispiel 2

Ein 15-jähriger Junge musste sich schon vor Ausbruch der Pandemie jeden Morgen überwinden, die Schule zu besuchen. Der erste Lockdown wurde zur schönsten Zeit seines Lebens. Es fiel ihm jedoch zunehmend schwer, die Lernaufträge zu erfüllen. Bald schon schwänzte er den Onlineunterricht, um nach nächtlichen Onlinespielen ungestörtausschlafen zu können. Als ein Präsenzunterricht wieder möglich war, entwickelte er starke Angstsymptome, die ihm den Schulbesuch erschwerten.

Entwicklungseinflüsse

Im interaktiven Entwicklungsmodell haben psychische Krankheiten mehr als eine Ursache. Ein Kind ist Entwicklungseinflüssen jedoch nicht nur ausgeliefert, sondern es bestimmt durch aktive Wahl die Wahrscheinlichkeit, bestimmten Einflüssen mehr oder weniger ausgesetzt zu sein. Es nimmt auch Einfluss auf seine Umwelt: Kinder mit Risikotemperament und mangelnder Fähigkeit zur Selbstberuhigung stellen eine größere Herausforderung für die elterliche Fürsorge dar. In der Regel ist die Entwicklungskapazität groß: Abgeschlossene Einzelereignisse führen nur selten zu nachhaltigen Entwicklungsbeeinträchtigungen. Erkrankungen sind eher bei chronisch ungünstigen Einflüssen und wiederholten traumatischen Belastungen zu erwarten. Ein gutes soziales Netzwerk wiederum hilft dem Kind, Verluste zu überwinden.

Alterstypische Entwicklungsaufgaben stellen Anforderungen an das Kind, welche je nach genetischer Disposition (Vulnerabilität oder Resilienz) und je nach den erfahrenen Umwelteinflüssen gemeistert werden oder zu Symptomen führen. Belastende Einflüsse betreffen nicht jedes Kind gleich und es gibt auch bei einem bestimmten Individuum besonders umweltsensible Phasen.

Süchtiger Medienkonsum

Beständiger Ausschluss aus der Gleichaltrigen-Gruppe, besonders in Verbindung mit exzessiver Nutzung von Onlinespielen, Onlinepornografie oder Onlinekommunikation könnte so zu einem Scheitern an der Aufgabe, sich von den Bezugspersonen zu lösen, und in weiterer Folge zu einer Verarmung der Mentalisierungsfähigkeit führen. Kinder und auch Jugendliche schaffen es vermutlich aufgrund ihrer emotionalen Entwicklungsstufe nicht, ihre Medienzeit in Chatrooms oder ihre Onlinespielzeit von sich aus zu begrenzen, insbesondere wenn ihre bisherige Persönlichkeitsentwicklung eine potenzielle Suchtgefährdung aufweist. Das sind Charakteristika wie mangelnde Frustrationstoleranz und erhöhte Impulsivität. Verschiedene Strategien, wie z.B. bei Onlinespielen, fördern aufgrund ausgeklügelter Systeme die Abhängigkeitsentwicklung (intermittierende Verstärkung). In Chatrooms und sozialen Medien wie Facebook, WhatsApp, Snapchat etc. werden Wünsche induziert, immer dabeizu sein, im Bild darüber zu sein, was sich abspielt. Da diese Medien davon leben, dass die einzelnen Mitglieder sich selbst mit allem, was sie erleben, darstellen – meist in exaltierter Form –, entsteht in den Konsumenten der Eindruck, selber ein schales Leben zu haben: „Es spielt sich anderswo ab.“

Medienzeiten begrenzen

Eltern wie Erzieher sollten sich aufgerufen fühlen, Medienzeiten auf ein adäquates Maß zu begrenzen. Es ist sinnvoll, dieses dem Alter und Entwicklungsstand anzupassen. Das Ziel ist, dass Jugendliche lernen, sich im Erwachsenenalter selbst Grenzen zu setzen.

Trotz praktisch 100%iger Sättigung mit digitalen Medien wächst der Großteil der Kinder zu medienkompetenten Jugendlichen und Erwachsenen heran. Bei jenen Kindern und Jugendlichen, die mediensüchtig werden, ist es vermutlich eine kurzschlüssige Vereinfachung, den Medien an sich die Schuld zu geben. Stattdessen ist die Entwicklung im Gesamtkontext zu sehen.

Schlussfolgerungen

Die Pandemie und die Maßnahmen dagegen verursachten eine schwere Krise im sozialen Umfeld von Kindern (Makrosystem). In der Folge war auch das unmittelbare familiäre Umfeld von Kindern belastet (Mikrosystem). Dies forderte die Resilienz von Kindern und Jugendlichen besonders heraus und führte in einem gewissen Prozentsatz zu Symptomen. Die Art und Weise und die Schwere der Symptome gestalteten sich jedoch je nach individueller Vulnerabilität.

Literatur:

Resch F et al.: Entwicklungspsychopathologie. Weinheim: Beltz, 1999

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