
DFP-Literatur
Vom Zuwachs und Schwinden des Knochens
„Bone is dead and there are no real osteocytes!” So lautet der Titel eines Artikels in der Fachzeitschrift „Medical Hypotheses“ im Jahr 1975. Dass unser Knochen in Wahrheit ein äußerst stoffwechselaktives Organ ist, welches sich neben all seinen Funktionen und Aufgaben mittels hochspezialisierter Knochenzellen ständig selbst erneuert, ist auch in der Gegenwart vielen noch nicht bewusst.
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Knochen ist im Wesentlichen eine Form mineralisierten Bindegewebes. Die zellulären Komponenten umfassen knochenbildende Zellen (Osteoblasten), deren ruhende Formen (Saumzellen), knochenresorbierende Zellen (Osteoklasten) sowie koordinierende, miteinander kommunizierende und mechanisch beeinflussbare Zellen (Osteozyten) (Abb. 1).
Osteoblasten spielen zahlenmäßig eine eher untergeordnete Rolle.1 Osteoklasten entwickeln sich aus Vorläufern hämatopoetischer Stammzellen.2 Rekrutierung und Funktion unterliegen einer komplexen Steuerung.3,4 Anzahl, Aktivität und die regulierenden Faktoren sind wesentliche Ziele antiresorptiv wirksamer Knochentherapien, etwa der Bisphosphonate, der Östrogene und von Denosumab, dem ersten Biological in der Behandlung der postmenopausalen Osteoporose.5
Osteozyten wurden ursprünglich als funktionslose oder „ruhende“ Zellen betrachtet. Tatsächlich sind sie hochaktiv, multifunktional und durch ein dichtes Netzwerk an Zellfortsätzen über Knochenkanäle (lakuno-kanalikuläres Netzwerk) untereinander sowie mit den Saumzellen an der Knochenoberfläche verbunden. Sie regulieren über Zytokine Knochenresorption und -formation, wobei sie selbst durch zirkulierende Hormone und mechanische Kräfte („Mechanostat“) gesteuert werden.6 Saumzellen (bone lining cells) liegen als (nahezu) ruhende Osteoblasten an der Knochenoberfläche. Ihre Funktion ist nicht vollkommen geklärt. Offenbar können sie unter bestimmten Voraussetzungen wieder die für Osteoblasten typische Form und Funktion aufnehmen und am Skelettauf- und -umbau beteiligt sein.4
Bone Modeling und Bone Remodeling
Durch das komplexe Zusammenspiel von Osteoblasten, Osteoklasten, Osteozyten und Saumzellen wird einerseits Knochenmasse und/oder -größe aufgebaut (Bone Modeling). Andererseits kommt es zum gezielten lokalen Abbau alten und geschädigten Knochens, der dann durch neuen ersetzt wird (Bone Remodeling) (Abb. 1).7
Diese Umbauvorgänge lassen sich als „Momentaufnahme“ im Labor gut darstellen. Aus einer Vielzahl möglicher Biomarker bieten sich die sogenannten Formations- und Resorptionsmarker an (Abb. 2). Sie ermöglichen eine Aussage zum Ausmaß des Knochenstoffwechsels und ergänzen nicht nur die Diagnostik, sondern sind auch hilfreich beim Nachweis des Ansprechens (oder Nichtansprechens) auf eine knochenspezifische medikamentöse Therapie. Als Monitoring-Instrument und Prognosemarker gewinnen sie zunehmend an Bedeutung.8
Kinder und Jugendliche: Wachstum und Stärke
Die wesentlichste Phase des Knochenwachstums findet während der Pubertät statt. Dann wird zum Großteil die Spitzenknochenmasse, also die individuelle und maximal erreichbare Knochenmasse zum Ende des Knochenwachstums, festgelegt (Abb. 3). Außerdem werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede des Knochens bestimmt: ausgeprägteres Längenwachstum und stärkerer periostaler Zuwachs des männlichen im Vergleich zum weiblichen Skelett.9 Dies betrifft nicht nur die Röhrenknochen, sondern auch die Wirbelkörper, was hinsichtlich der Bruchfestigkeit vorteilhaft ist.
Das Wachstum des trabekulären Knochens ist durch zwei bemerkenswerte Eigenschaften charakterisiert. Zum einen ist die Anzahl an Trabekeln anscheinend schon frühzeitig festgelegt. Jedenfalls ist intraindividuell bis zum Erreichen des jungen Erwachsenenalters keine wesentliche Änderung der Trabekelzahl zu beobachten. Zum anderen nimmt mit zunehmendem Alter die Dicke der einzelnen Trabekel bis zum jungen Erwachsenenalter deutlich zu.10 Dies drückt sich in einer Steigerung der Knochenmineraldichte (KMD) während der Wachstumsphase aus (Abb. 3). Der Gipfel der jährlichen KMD-Zunahme ist bei Frauen etwa um das 14. Lebensjahr erreicht, bei Männern rund zwei Jahre später.11
Eine kritische Phase der Skelettentwicklung und -reifung ist die frühe Adoleszenz, in der die Mineralisation des Knochens mit dem Längenwachstum nicht Schritt halten kann.12 Es ist daher nicht überraschend, dass etwa die Hälfte aller männlichen und rund ein Drittel aller weiblichen Personen bis zum 18. Lebensjahr eine Fraktur erleiden.13
Die Bestimmung der Knochenumsatzmarker im Kindes- und Jugendalter zeigt einen wellenförmigen Verlauf mit höheren Werten im Kleinkindalter, gefolgt von einem leichten Abfall und einem neuerlichen Anstieg mit Beginn der Pubertät, um dann mit Ende der Adoleszenz das Ausmaß des erwachsenen Knochens zu erreichen.14 Wie auch in allen anderen Altersgruppen können den Knochenstoffwechsel beeinflussende Faktoren, etwa Bewegungs- oder Vitamin-D-Mangel, die Knochenumsatzmarker erheblich beeinflussen.
Erwachsene: Knochenumbau und Knochenersatz
Die biologischen Vorgänge im Knochen des Erwachsenen zielen vorwiegend darauf ab, geschwächten oder geschädigten Knochen durch neuen, den aktuellen mechanischen Anforderungen entsprechenden Knochen zu ersetzen. Sehr wahrscheinlich erfolgt die Zündung zum lokalen Ersatz gealterten Knochens durch mikroskopisch kleinste Frakturen.15 Im weiteren Verlauf gehen die betroffenen Osteozyten in die Apoptose über, lokal werden Zytokine freigesetzt, die den lokalen Knochenabbau und anschließend die Knochenformation in Gang setzen.7
Die mittels Dual-Energy-X-ray-Absorptio-metry (DXA) erfasste KMD bleibt während dieser Phase relativ konstant. Der physiologische Verlust beträgt <1% jährlich und betrifft vor allem die Hüftregion. Bei gebärfähigen Frauen besteht anscheinend eine inverse Korrelation zwischen KMD-Verlust und Androgen-Spiegel.16 Bei Männern zeigt sich eine inverse Korrelation zwischen KMD-Verlust und der Höhe des Östrogen-Spiegels.16 Die Messung der Knochenumsatzmarker ergibt in dieser Phase meist stabile bis leicht abnehmende Werte.17
Liegen Risikofaktoren für einen Verlust der KMD vor, können die Knochenumsatzmarker entweder erhöht (Hormonmangel, entzündliche Erkrankungen, Tumoren) oder deutlich vermindert sein („adynamer Knochenumsatz“ bei schweren Nierenerkrankungen oder Diabetes). Sie sind damit ein wichtiges Instrument zur Beurteilung eines gesunden oder erkrankten Knochens.
Peri- und Postmenopause: Phase des Verlusts
Perimenopause und frühe Postmenopause sind entscheidend für die Änderung der Bruchfestigkeit des Knochens und die Frakturwahrscheinlichkeit in der verbleibenden Lebenszeit („Lebenszeit-Frakturrisiko“). Untersuchungen weisen darauf hin, dass während der menopausalen Transition innerhalb von etwa drei Jahren der KMD-Verlust stark beschleunigt ist.18 Bemerkenswert ist, dass der beschleunigte Abbau bereits rund ein Jahr vor dem letzten Menstruationszyklus einer gebärfähigen Frau beginnt, und zwar ohne sichtbar verringerte Östrogenspiegel.19
Auf struktureller Ebene äußert sich die menopausale Transition in einer gesteigerten endostalen Knochenresorption und einer kompensatorisch gesteigerten periostalen Apposition (Abb. 4). Dies reicht allerdings nicht aus, um den Verlust der (integralen) KMD zu kompensieren (Unbalanced Remodeling).20 Der Knochenmasseverlust, in der Transitionsphase durchschnittlich 10% pro Jahr, betrifft den trabekulären und den kortikalen Knochen.21, 22
Im Labor liefert das Anti-Müller-Hormon (AMH), das auch in der Diagnostik des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS) angewandt wird, wertvolle Information. Ein niedriger AMH-Wert zeigt das zu Ende gehende Depot an reifungsfähigen Follikeln des Ovars an.23 Die „klassischen“ Knochenumsatzmarker sind in der Peri- und Postmenopause meist deutlich und über mehrere Jahre erhöht.17
Männer können im höheren Lebensalter ebenfalls erhöhte Werte aufweisen, besonders, wenn ein ausgeprägterer Mangel an Testosteron oder ungünstige Lebensstilfaktoren wie Bewegungsmangel vorliegen.17 Ein Monitoring erhöhter Knochenmarker ist auch zum Nachweis oder Ausschluss einer sekundären Ursache eines beschleunigten KMD-Verlustes sinnvoll.
Knochen im Senium: abnehmende Festigkeit
Die Phasen des höheren und hohen Lebensalters sind gekennzeichnet durch abnehmende Serumspiegel von Hormonen und Wachstumsfaktoren sowie ein vermindertes Ansprechverhalten der Osteoblasten darauf.24 Zudem steigen proinflammatorische Zytokine wie Interleukin-6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor (TNF) ohne klinisch evidente chronisch-inflammatorische Erkrankungen an.
Der physiologische jährliche Verlust der KMD ist in dieser Phase vergleichbar mit jenem zwischen Adoleszenz und (Peri-)Menopause. Bemerkenswert ist, dass der äußere Durchmesser der Röhrenknochen mit zunehmendem Alter zunimmt, und zwar ausgeprägter beim männlichen als beim weiblichen Geschlecht (Abb. 4). Gleichzeitig nimmt bei beiden Geschlechtern der innere Knochendurchmesser und somit der Knochenmarksraum in vergleichbarem Ausmaß zu. Dies bedeutet, dass beim Mann der Verlust des kortikalen Knochens insgesamt geringer ausfällt als bei der Frau, was ein Vorteil hinsichtlich des Frakturrisikos ist.25 Wie Untersuchungen an Hochbetagten zeigen, können die biochemischen Knochenumsatzmarker bedingt durch unterschiedliche Erkrankungen oder Immobilität selbst in diesem Lebensalter noch deutlich zunehmen und einen beschleunigten Knochenabbau widerspiegeln.26
Praxistipp:
Indikationen für eine Basisuntersuchung (Tab. 1)
Frauen nach der Menopause und Männer bei niedrigtraumatischen Wirbelkörperfrakturen, sofern andere Ursachen nicht wahrscheinlicher sind
Niedrigtraumatische nichtvertebrale Frakturen (Ausnahmen: Finger-, Zehen-, Schädel-, Knöchelfrakturen)
Frauen ab 60, Männer ab 70
Endokrinologische Erkrankungen (u. a. Cushing-Syndrom, primärer Hyperparathyreoidismus, männlicher Hypogonadismus, subklinische und manifeste Hyperthyreose, Diabetes mellitus Typ 1 und 2)
Rheumatologische Erkrankungen
Gastroenterologische Erkrankungen (z. B. Zöliakie, Magenresektion)
Neurologische/psychiatrische Erkrankungen
Herzinsuffizienz
Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz
Alkohol und alkoholische Lebererkrankung
Anorexia nervosa
Rauchen und chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD)
Medikamentöse Therapie (u. a. Aromatasehemmer, Glukokortikoide hochdosiert oder langfristig, Glitazone, Dauertherapie mit Protonenpumpenhemmern, Medikamente, die Stürze begünstigen, wie Antidepressiva, Antiepileptika und Opioide)
Tab. 2: Indikation für eine medikamentöse Osteoporosetherapie nach Risikoprofil in Abhängigkeit von Geschlecht, Lebensalter, DXA-Knochendichte und T-Score. Die Therapieschwelle wird fakultativ entsprechend den einbezogenen klinischen Risikofaktoren, soweit diese vorliegen, angehoben.
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