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Lebensstilmodifikation

Wie Motivation funktioniert

Umfragen ergeben immer wieder, dass die meisten Menschen (80 bis 90%) wissen, dass Bewegung wichtig für die Gesundheit ist. Wenn es aber um die Umsetzung geht, kehrt sich das Bild um: Durchschnittlich weniger als 10% setzen die Empfehlungen auch um.1–4

Einer der Gründe dafür ist, dass der Mensch entwicklungsgeschichtlich darauf „programmiert“ ist, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen.5 Doch das Programm kann überwunden werden. Dazu brauche es Motivation, erklärte Tatschl.

Ursprung der Motivation

Motivation liegen zwei Prozesse zugrunde:Typ 1 und Typ 2. Typ 1 umfasst lebenserhaltende Prozesse wie Hunger, Durst, Sexualität, Angst, aber auch Süchte. Diese führen zu einem sehr starken Antrieb. Zum Typ 2 gehören höhere Werte und Emotionen, die weniger lebenserhaltend als vielmehr lebensgestaltend sind.6-8 Tabelle1 zeigt die Unterschiede beider Systeme.8 Im Idealfall, so Tatschl, wirken beide zusammen und führen zu einer Intention, dem Entschluss, etwas zu tun, und der Handlung.

Wie Typ-1-Prozesse funktionieren

Beim Typ 1 ist die Lust auf etwas („wanting“) die eigentliche Motivation. Man fokussiert auf diese Sache und nähert sich ihr an, etwa einem schmackhaften Gericht. Im Gehirn wird dabei Dopamin ausgeschüttet, wobei die Ausschüttung umso stärker ist, je höher der Aufwand ist, um das Gewünschte zu erhalten.9

Die Lust an etwas („liking“), der Genuss oder die Belohnung, folgt, wenn man das Gewünschte bekommen hat. Dabei werden Endoopioide und -cannabinoide ausgeschüttet.

Die Trennung in „wanting“ und „liking“ sei wichtig, so Tatschl, denn wenn man mit einer Aktivität startet und diese eine Belohnung auslöst, so wird das in der Erinnerung gespeichert. Jeder Reiz, der diese Erinnerung wachruft, und auch nur der Gedanke daran führen zur Ausschüttung von Dopamin und damit zur Motivation. Bleibt die Belohnung aus oder kommt es gar zu negativen Erfahrungen, sinkt die Motivation oder es kommt zur Abkehr von dem Gewünschten. In diesem Fall kann der Typ 2 einspringen und dennoch zur Motivation führen. Allerdings ist dieses System relativ rasch erschöpfbar (Tab.1).

Typ-2-Prozesse

Typ 2 umfasst psychologische Grundbedürfnisse wie Kompetenz(erwerb), soziale Zugehörigkeit (Beziehungen), Autonomie (Identität, Authentizität, Autorität) und Sinn (Perspektive, Wert in der Zukunft). Diese Bedürfnisse sind individuell unterschiedlich ausgeprägt.6, 10

Beim Umgang mit Patienten spielt einerseits die Quantität der Motivation (hoch, mäßig, nicht vorhanden) eine Rolle, besonders aber auch die Qualität. Hier unterscheidet man intrinsische und extrinsische Motivation. Die intrinsische Motivation ist gekennzeichnet durch die natürliche Neigung zu Kompetenz, Anpassung, Verfolgung spontaner Interessen und Forschungsdrang. Das Ziel ist die Handlung selbst (Autotelie). Die extrinsische Motivation dient immer einem Ziel, das von der Handlung selbst trennbar ist (Abb.1).11 Abbildung 2 verdeutlicht dies am Beispiel der möglichen Patientenantworten zum Thema Bewegung.



Motivationsblockaden

Während im Idealfall die Systeme von Typ1 und Typ 2 zusammenwirken, arbeiten sie in der Realität oft gegeneinander, Beispiel: Typ 1 will Schokolade, Typ 2 will abnehmen. Welches System die Oberhand gewinnt, hängt davon ab, ob das „Lustobjekt“ Schokolade verfügbar ist, ob eine gesunde Alternative rasch zur Hand ist und wie es der Person in diesem Augenblick geht. So führen zum Beispiel Müdigkeit, Erschöpfung, Kränkungen, Schmerzen, Stress, Ärger oder Langeweile dazu, dass der Typ 1 überwiegt.

Vor allem bei adipösen Menschen kommt es zudem zu einer Entkoppelung von „wanting“ und „liking“. Ersteres kann so stark werden, dass es suchtähnliche Ausmaße annimmt, obwohl die Belohnung ausbleibt.12

Adipositas und körperliche Inaktivität sind ein Teufelskreis, der oft bereits in der Kindheit beginnt, wenn Bewegung und Sport als unangenehm gespeichert werden. Viele übergewichtige Menschen machen wiederholt negative Erfahrungen mit Lebensstiländerungen, wobei jedes Mal die Motivation weiter sinkt.13 Darüber hinaus ist vor allem bei Adipositas die „Egodepletion“ sehr ausgeprägt. Das bedeutet, dass die Selbstkontrollressourcen mit jeder Handlung, die Willenskraft erfordert, immer stärker abnehmen, bis sie schließlich so schwach sind, dass die Personen Verlockungen nicht widerstehen können. Die gute Nachricht: Diese Ressourcen können wieder aufgefüllt werden, und zwar mit moderater körperlicher Aktivität.14, 15

Patienten motivieren – aber wie?

Tatschl erläuterte anhand eines Patientenbeispiels sein Vorgehen. Der Patient, 50 Jahre, 108 Kilogramm, BMI >33, hatte bereits ein metabolisches Syndrom entwickelt und wies zudem psychische Auffälligkeiten wie Schlafstörungen, unerklärliche Ängste, Antriebslosigkeit und zu hohen Alkoholkonsum auf.

Bei jedem Patienten geht der Mediziner nach folgendem Schema vor:

  • Klären, ob es einen Auftrag gibt

  • Überprüfung seiner eigenen Haltung (positive Einstellung, Stigmatisierung vermeiden)

  • Klärung der Ressourcen des Patienten (positive Vorerfahrungen, vorhandene Fähigkeiten, Sportgeräte, Menschen, die unterstützen oder mitmachen können)

  • Zusammenhänge erklären, was dem Patienten Flexibilität und Autonomie gibt

  • Positive Erfahrungen mit körperlicher Aktivität generieren, Überlastung vermeiden („Wählen Sie eine Intensität, bei der sich die Bewegung für Sie gut bis sehr gut anfühlt!“)16

  • Ernährung: Verzichtsgefühle vermeiden (abwechslungsreich mit Gemüse bis zur Sättigung, dann aufhören)

Für die körperliche Aktivität rät Tatschl zur Bewegung im Freien, da es dort mehr Abwechslung und positive Sinneseindrücke gibt, was die Motivation steigert. Außerdem ist man auf die Umwelt fokussiert und nimmt negative Empfindungen weniger wahr. Bewegung bei Tageslicht verbessert die Schlafqualität in der Nacht, reduziert Stress und regt das Immunsystem an. Hilfreich sei dabei, wenn man jemanden habe, mit dem zusammen man aktiv ist.17

Auf diese Weise gelang auch dem Patienten die Lebensstiländerung. Er begann E-Bike zu fahren, oft begleitet von seinem Sohn, und reduzierte seine tägliche Kalorienzufuhr auf 1500 bis 2000 kcal (ohne zu hungern). So nahm er innerhalb von acht Wochen acht Kilo ab, die Schlafstörungen verschwanden und er fühlte sich insgesamt vitaler.

Bericht:
Dr. Corina Ringsell

Quelle:
Webinar „Lebensstil-Modifikation: Möglichkeiten der Patientenmotivation“, ALLGEMEINE+, 20. Juni 2020

Literatur:

  1. Martin SB et al.: Med Sci Sports Exerc 2000; 32: 2087-92

  2. Tucker JM et al.: Am J Prev Med 2011; 40: 454-61

  3. Colley RC et al.: Health Rep 2011; 22: 7-14

  4. O‘Donovan G et al.: Prev Med 2007; 45: 432-5

  5. Lieberman DE: Curr Sports Med Rep 2015; 14: 313-9 

  6. Längle A: Lehrbuch zur Existenzanalyse. facultas 2014

  7. Berridge KC: Physiol Behav 2009; 97: 537-50

  8. Evans BTE, Stanovich KE: Perspect Psychol Sci 2013; 8: 223-41

  9. Niv Y: Nature 2013; 500: 533-5

  10. Ryan MR, Deci LE: Self-determination theory. Guilford Press 2018

  11. Ryan RM, Deci EL: Am Psychol 2000; 55: 68-78

  12. Robins MJF et al. In: Behavioral neuroscience of motivation. Springer 2016; S. 105-36

  13. Ekkekakis P et al.: Obes Rev 2016; 17: 313-29

  14. Castonguay A et al.: Health Psychol Open 2018; 5: 2055102917750331

  15. Zou Z et al.: Front Psychol 2016; 7: 501

  16. Hardy CJ et al.: J Sport Exerc Psych 1989; 11: 304-17

  17. Jackson SE et al.: JAMA Intern Med 2015; 175: 385-92

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